Warum Nachhaltigkeit so schwer zu erreichen ist und was wir dagegen tun können. Analyse und Handelsprinzipien
Leitartikel von Christian Berg
Vor fast fünfzig Jahren, 1972, erschien der erste Bericht an den Club of Rome, „Die Grenzen des Wachstums“, der auf die existenzbedrohenden Folgen ungebremsten Wachstums hinwies. Vor fast dreißig Jahren, 1992, verständigte sich die Weltgemeinschaft in Rio auf das Ziel einer nachhaltigen Entwicklung, geleitet von der Überzeugung, dass Umwelt und Entwicklung integriert betrachtet werden müssen. Die damals noch recht unverbindlich gehaltenen Empfehlungen, die für die weltweite Staatengemeinschaft wohl nur wegen ihrer Unverbindlichkeit zustimmungsfähig waren, wurden noch einmal fast ein Vierteljahrhundert später, 2015, durch die Agenda 2030 mit spezifischen Zielen für eine nachhaltige Entwicklung konkretisiert. Ihre 169 Teilziele sollen in den nächsten 9 Jahren realisiert werden. Doch es sieht derzeit nicht so aus, als würden diese Ziele auch nur annähernd erreicht werden.
Allein das Ziel, die Erderwärmung bis 2100 auf unter 2 Grad gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu halten (möglichst auf 1,5 Grad), wie es das Pariser Klimaabkommen vorsieht, wozu sich die Agenda 2030 bekennt, ist im Rahmen der derzeitigen Vereinbarungen überhaupt nicht machbar – wir bewegen uns eher auf eine Welt von 3-4 Grad Erwärmung zu. Analoges ließe sich über den Verlust von biologischer Vielfalt, der Zustand der tropischen Regenwälder oder der Ozeane berichten. Dabei ist zu beachten, dass diese ökologischen Ziele keineswegs irgendwelche politischen Ziele wie etwa Vollbeschäftigung oder Preisstabilität sind. Denn nach allem, was wir heute wissen, ist das Erreichen dieser Ziele zwingend erforderlich, wenn wir nicht riskieren wollen planetare Belastungsgrenzen zu überschreiten, was irreversible, sich selbst verstärkende und bedrohliche Entwicklungen für die Menschheit zur Folge hätte. Verfehlen wir diese ökologischen Ziele, dann riskieren wir, dass das gesamte Erdsystem in einer nicht korrigierbaren Weise Schaden nimmt und menschliches Leben auf unbestimmte Zeit fundamental bedroht wird.
Beherztes politisches Handeln ist deshalb dringlicher denn je. Doch gerade als Hoffnung aufkeimte, dass ein Bewusstseinswandel einsetzen würde, dass Weiter-so keine Option mehr ist, als Fridays-for-Future der Zukunftsverweigerung der etablierten Systeme empört die Stirn bot, als die Präsidentin der EU Kommission kurz nach ihrem Amtsantritt den Plan für einen European Green Deal vorlegte und Blackrock-Chef Larry Fink den Druck auf Firmenlenker erhöhte – wurde die Menschheit von einer Pandemie überrascht, die viele Fragen nachhaltiger Entwicklung in den Hintergrund drängt. Ironischerweise – muss man sagen, denn die Ausbreitung und die Effekte dieser Pandemie hängen eng mit unserer Wirtschafts- und Lebensweise zusammen. Unsere Welt ist hochgradig vernetzt. Wertschöpfungs- bzw. Produktionsprozesse sind weltweit verteilt, es besteht eine hohe Abhängigkeit von dem Zusammenspiel der Akteure, von funktionierenden Lieferketten etc. Einer solche hochgradige Vernetzung stellt ideale Bedingungen für die Ausbreitung von Viren dar. Gleichzeitig geht mit dieser Vernetzung einher, dass ein Großteil der Produktion in anderen Weltregionen stattfindet, was uns extrem abhängig macht von funktionierenden Lieferketten.
Um so wichtiger ist also die im Titel aufgeworfene Frage: warum ist Nachhaltigkeit so schwer zu erreichen? Warum ist Fortschritt in Sachen Nachhaltigkeit so mühsam, so zäh, vielleicht sogar unrealistisch?
Diesen Fragen bin ich einem Buch nachgegangen, das 2020 als „Ist Nachhaltigkeit utopisch? Wie wir Barrieren überwinden und zukunftsfähig handeln“ erschienen ist und das vom Club of Rome als seinen aktuellen Bericht anerkannt hat. Im Folgenden einige Kerngedanken daraus.
Barrieren der Nachhaltigkeit
Es gibt keine einfache Antwort auf die Frage, warum Nachhaltigkeit so schwer zu erreichen ist, jedenfalls gibt es nicht die einfache Antwort. Es gibt nämlich in gewissem Sinne sehr viele Antworten darauf, es gibt sehr viele Gründe dafür, warum wir nicht nachhaltiger sind. Ich nenne diese Gründe Nachhaltigkeitsbarrieren. Eine Nachhaltigkeitsbarriere ist ein Zusammenhang, der uns den Weg zur Nachhaltigkeit versperrt, der dafür verantwortlich ist, dass wir nur so schleppend vorankommen, der verhindert, dass wir nachhaltiger leben.
Eine Beispiel für eine solche Barriere ist das Versagen des Marktes bei der Behandlung globaler Gemeingüter. Saubere Ozeane, intakte Fischfangründe, artenreiche Urwälder und gesundes Klima werden vom Markt nicht belohnt bzw. umgekehrt hat es für denjenigen, der diese Gemeingüter schädigt, den Verursacher kaum Konsequenzen. Solange es sich finanziell lohnt, die Umwelt zu schädigen, solange klimaschädliche Aktivitäten einen wirtschaftlichen Vorteil bringen, wird der Raubbau an unseren natürlichen Lebensgrundlagen weitergehen. Will man marktwirtschaftlich agieren (und zum Beispiel nicht moralisch oder ordnungspolitisch), dann ist eine Maßnahme zur Abmilderung dieses Problems, entsprechendes schädigendes Verhalten mit einem Preis zu versehen. Das macht zum Beispiel eine CO2-Steuer. Wichtig ist allerdings, dass diese Steuer auch eine angemessene Höhe hat, was von der gegenwärtigen Steuer in Deutschland sicher nicht gesagt werden kann.
Eine ganz anders geartete Barriere auf dem Weg zur Nachhaltigkeit ist die Tatsache, dass sich unsere globalen Herausforderungen letztlich nur mit globalen Lösungen bewältigen lassen, dass es aber bisher nicht gelungen ist, einen weltweit wirksamen Ordnungsrahmen zu errichten, der für die Bewältigung globaler Herausforderungen wirksam wäre. Schon die Lösung vergleichsweiser „einfacher“ Herausforderungen für die Weltgemeinschaft scheitert oft daran, dass eine der Parteien im Weltsicherheitsrat ein gemeinsames Vorgehen verhindert. So gibt es zwar einen weltweiten Markt für Waren und Dienstleistungen, und besonders auch für Finanzen, aber keine gleichen Wettbewerbsbedingungen.
Um sich trotz Ermangelung solcher Bedingungen durch andere Regionen nicht ausbremsen zu lassen und gleichwohl das Ambitionsniveau für den heimischen Klimaschutz zu steigern, hat die EU Kommission im Rahmen des European Green Deal einen Mechanismus vorgeschlagen, der es ermöglichen könnte, einerseits die eigene Dekarbonisierung voranzutreiben, andererseits keine Wettbewerbsnachteile zu befürchten. Der Carbon Border Adjustment Mechanism soll den Konsum besteuern, unabhängig davon, wo produziert wurde, und deshalb auch heimische Produzenten nicht benachteiligten.
Marktversagen und fehlende Governance sind institutionelle Nachhaltigkeitsbarrieren. Denn wie der Markt funktioniert oder wie das Zusammenspiel der globalen Akteure erfolgt, ist ja letztlich Folge institutioneller Regelungen. Man kann sich durchaus einen globalen Ordnungsrahmen für die Bewältigung globaler Probleme vorstellen, so wie man auch Marktmechanismen entwickeln kann, die das Problem des Marktversagens adressieren. Eine CO2-Steuer „internalisiert“ die Kosten, die sich durch die Emission von Treibhausgasen ergeben, indem sie das, was vorher keinen Preis hatte, nun mit einem Preis versieht und damit anschlussfähig macht an den Markt.
Es gibt andere Barrieren auf dem Weg zur Nachhaltigkeit, die nicht institutioneller Art sind, sondern noch viel grundlegender sind, weil sie mit der Beschaffenheit der Wirklichkeit bzw. unserer gesellschaftlichen und menschlichen Konstitution zusammenhängen.
Ein Beispiel aus dem Bereich der physischen Wirklichkeit: unsere biologischen, ökologischen und sozialen Systeme weisen eine enorme Komplexität und Vernetzung auf. Das macht den Umgang mit ihnen sehr herausfordernd, denn oft ist ihr Verhalten nicht oder nur sehr schwer zu prognostizieren. Eingriffe von außen können zu Systemreaktionen führen, die jeder Intuition widersprechen. Wenn nun mit der technischen Entwicklung auch die Wirkmächtigkeit von Technologien in Raum und Zeit zunimmt, verschärft sich dieses Problem. Denn wenn die Wirkungsketten bis weit in die Zukunft modelliert werden sollen, werden Wirkungsabschätzungen enorm schwierig.
Doch nicht nur in der physischen Wirklichkeit, auch in unserer menschlichen Konstitution liegen Nachhaltigkeitsbarrieren begründet. Als Menschen haben wir keine Sensorik für die großräumigen und langfristigen Veränderungen unserer Ökosysteme. Für das Erfassen und Verstehen der gravierendsten Folgen unserer Nicht-Nachhaltigkeit sind wir auf wissenschaftliche Erhebungen und Analysen angewiesen. Direkt erfahren können wir sie nicht. Auch können wir CO2 weder sehen noch riechen noch schmecken noch sonst wie fühlen. Entsprechendes gilt für die Ozeanversauerung, das Artensterben oder den Anstieg des Meeresspiegels. Damit kommt wissenschaftlicher Expertise und ihrer gesellschaftlichen Akzeptanz für Problembewusstsein wie auch für Lösungsansätze eine entscheidende Bedeutung zu. Das Überleben menschlicher Kultur wird buchstäblich davon abhängen, ob eine nicht anders als wissenschaftlich zugängliche Wirklichkeit als Realität akzeptiert wird. Die während der Pandemie zu beobachtenden Fälle von Realitätsverweigerung machen wenig Hoffnung, dass die von der Wissenschaft prognostizierten Bedrohungen durch Kipppunkte im Erdsystem, die sehr viel weiter entfernt als die nächste Intensivstation und sehr viel weniger greifbar erscheinen als das Multiorganversagen nach einer Covid-19-Infektion, durch beherztes politisches Handeln noch abgewendet werden können.
Und schließlich sei noch darauf verwiesen, dass es auch soziale Barrieren der Nachhaltigkeit gibt sowie solche, die vom Zeitgeist abhängen. Zu den sozialen Barrieren zähle ich unter anderem Interessenkonflikte und Populismus. Als zeitgeistabhängig kann die immer stärkere Beschleunigung fast aller Lebensbereiche mit der starken Fokussierung des Jetzt angesehen werden – was implizit Vergangenes und Zukünftiges abwertet – sowie der Konsumismus, der exzessive, zur Ersatzbefriedigung verkommene Konsum.
Was nützt dieser Überblick über die zahlreichen und sehr unterschiedlichen Nachhaltigkeitsbarrieren? Muss man nicht Resignieren angesichts der Vielzahl und Unterschiedlichkeit der Gründe für unsere Nicht-Nachhaltigkeit?
Im Gegenteil. Denn eine genaue Bestandsaufnahme bzgl. dieser unterschiedlichen Gründe, eine umfassende Analyse der Situation, ist nicht nur ein erster Schritt auf dem Weg zur Nachhaltigkeit. Es ist sogar ein notwendiger Schritt, denn erst wenn zumindest die wichtigsten Barrieren identifiziert und adressiert worden sind, kann eine Transformation zur Nachhaltigkeit einsetzen. Wir wissen aus der Geschichte, dass sich große gesellschaftliche Transformationen praktisch nie monokausal erklären lassen, immer eine ganze Reihe von Ursachen haben. Sehr oft spielen sozio-ökomische, technische, kulturelle, politische und militärische Faktoren zusammen, bedingen bzw. verstärken einander. Ohne den Buchdruck, ohne die Dekadenz des Renaissance-Papsttums und ohne den philosophisch-theologischen Universalienstreit im Spätmittelalter, hätte es zum Beispiel die Reformation vielleicht nie gegeben.
Wenn das aber so ist, dann gilt es, die Barrieren auf dem Weg zur Nachhaltigkeit möglichst umfassend zu analysieren und aus dem Weg zu räumen. Denn anders als alle bisherigen großen Transformationen muss die Realisierung einer wirklich nachhaltigen, zukunftsfähigen Entwicklung der Menschheit heute als solche bewusst initiiert werden. Mehr noch: Während sich historische Transformationsprozesse (wie die Reformation) ergebnisoffen aus dem komplexen Zusammenspiel zahlreicher Entwicklungen und Akteure entwickelten, ist der Menschheit für die anstehende Transformation zur Nachhaltigkeit als Ergebnis zumindest eine Minimalforderung vorgegeben, nämlich die Einhaltung der planetaren Grenzen. Werden diese planetaren Grenzen überschritten (von denen das 1,5 Grad-Ziel für das globale Klima nur die bekannteste, aber wohl nicht einmal die bedrohlichste Grenze darstellt), dann werden bedrohliche und irreversible Entwicklungen eingeleitet, die es unbedingt zu vermeiden gilt. Genau deshalb ist es aber so wichtig, dass eine komplexe Situationsanalyse erfolgt und an möglichst vielen Barrieren zugleich angesetzt wird. Nur dann hat die erforderliche Transformation eine Chance, realisiert zu werden.
Prinzipien nachhaltigen Handelns
Die Weltgemeinschaft hat sich 2015 auf 17 Nachhaltigkeitsziele verständigt, die bis 2030 erreicht werden sollen. Einmal abgesehen von der Frage, ob es überhaupt theoretisch möglich ist, dass alle diese Ziele zugleich erreichbar sind (was hier nicht diskutiert werden kann, was aber keineswegs erwiesen ist – im Gegenteil, es spricht einiges dagegen), helfen diese 17 Ziele in konkreten Entscheidungssituationen für einzelne Akteure allerdings kaum weiter. Fragt man zum Beispiel in einer konkreten Situation, welche von zwei Handlungsoptionen den Hunger auf der Welt beseitigt (wie es SDG 2 fordert), dann gibt es nicht nur unterschiedliche, sondern geradezu konträre Positionen. Während die einen mehr internationale Entwicklungszusammenarbeit fordern (J Sachs, F J Radermacher), sagen die anderen, dass diese „Entwicklungshilfe“ gerade das Problem sei (Mwenda). Es wäre deshalb viel geholfen, wenn man den diversen Akteuren (Unternehmen, Staaten, Individuen, NGOs) nicht nur das große Ziel vor Augen würde, sondern sie auch in konkreten Entscheidungssituationen unterstützen könnte. Eine solche Unterstützung dürfte nicht beim Ziel, sondern müsste beim Handeln ansetzen, in der konkreten Handlungssituation. Genau das ist der Sinn von Handlungsprinzipien für nachhaltiges Handeln, die ich im zweiten Teil des Buches entwickle.
Ein Prinzip ist eine „feste Regel, die jemand zur Richtschnur seines Handelns macht, durch die er sich in seinem Denken und Handeln leiten lässt“ (DUDEN). Kants kategorischer Imperativ ist ein solches Prinzip: Handle so, dass die Maxime deines Wollens jederzeit zugleich auch Gegenstand allgemeiner Gesetzgebung werden könne. So universell die von ihm beanspruchte Gültigkeit dieses Imperativs auch sein mag, dieser nützt wenig bei der Frage, welches von zwei Produkten unter den Kriterien der Nachhaltigkeit das bessere ist. Prinzipien für nachhaltiges Handeln hätten also spezifisch genug zu sein, um in konkreten Entscheidungssituationen zu unterstützen. Andererseits müssen sie natürlich trotzdem richtig sein. „Lokal einkaufen“ wäre sehr konkret und spezifisch. Das ist nur leider nicht immer die ökologisch sinnvollste Option, wenn es nicht mit „saisonal“ ergänzt wird. Denn wenn der Apfel vom Bodensee ein halbes Jahr im Kühlhaus liegt, bevor er gegessen wird, hat er ggf. eine schlechtere Ökobilanz als ein Apfel aus Südafrika.
Analog der Kategorien der Barrieren unterteile ich auch die Prinzipien, und zwar nach ihrem primären Wirkungszusammenhang: Naturbezogen, persönliche Prinzipien, gesellschaftsbezogen und systembezogen. Die meisten Prinzipien dieser Prinzipien stammen nicht von mir, sondern sind zum Teil schon uralt. Das Verursacherprinzip etwa, wonach jemand, der einen Schaden verursacht hat, auch für die Wiedergutmachung einzustehen hat, findet sich sinngemäß schon im Codex Hammurabi, dem ältesten Rechtstext der Menschheit. Dieses Prinzip wurde bisher allerdings nicht bzw. nur unvollkommen auf den Umgang mit der Natur angewendet. Das Verursacherprinzip wie auch das Vorsorgeprinzip, wonach bei noch unklaren Langzeitfolgen bestimmter Technologien Vorsorge für mögliche Risiken zu tragen ist und eine Beweislastumkehr erfolgt, hat zum Beispiel Eingang in die EU-Rahmenverträge gefunden. Was meines Wissens allerdings neu ist, ist der Versuch, derlei Prinzipien zu kategorisieren und systematische Zusammenzustellen – zumindest ist mir nicht bekannt, dass schon mal eine systematische Aufstellung solcher Prinzipien nachhaltigen Handelns unternommen worden wäre.
Einige dieser Prinzipien richten sich primär an staatliche Akteure. Das Verursacherprinzip und das Vorsorgeprinzip zum Beispiel. Andere Prinzipien adressieren das persönliche Verhalten: dazu zählt unter anderem, einen genügsamen, suffizienten Lebensstil, also letztlich eine Reduktion beim Konsum, nicht als Zumutung, sondern als Bereicherung sehen zu lernen: Genügsamkeit feiern zu lernen.
Im Bereich der gesellschaftsbezogenen Prinzipien gibt es einige, die praktisch von allen Akteuren befolgt werden können. Den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken, den Unterprivilegierten die meiste Unterstützung zuteil werden lassen, oder sich im Miteinander, egal ob individuell oder auf Ebene von Organisationen, um wechselseitige Vorteile zu bemühen, kann von Akteuren auf jeder Ebene befolgt werden.
Dasselbe gilt für die systemischen Prinzipien, also jene Prinzipien, die beim Umgang mit Systemen unterstützen sollen. Dazu zähle ich unter anderem, „Vielfalt fördern“. Von den ersten Einzellern, über höhere Lebewesen, Ökosystemen bis hin zu Führungsstrukturen von Unternehmen – stets ist Vielfalt eine notwendige Bedingung dafür, dass etwas neues entstehen kann, dass Leben gedeihen und wachsen kann. Mono-„kultur“ ist aus meiner Sicht ein Oxymoron, so etwas wie ein eckiger Kreis. Denn Kultur kann es nur durch Vielfalt geben. Ein anderes systemisches Prinzip lautet: Transparenz zu erhöhen. Vielen problematischen Konstellationen wie Korruption oder illegitimem Lobbyismus kann nur durch ein Mehr an Transparenz begegnet werden.
Wie greifen nun Barrieren und Prinzipien in einander? Für jede der Barrieren gibt es Lösungsperspektiven (die hier unerwähnt bleiben mussten), die aufzeigen, wie eine bestimmte Barriere überwunden oder zumindest handhabbar gemacht werden kann. Der Übernutzung globaler Gemeingüter kann zum Beispiel dadurch begegnet werden, dass deren Schädigung bzw. Verschmutzung mit einem Preis belegt wird. Eine CO2-Steuer wäre also zum Beispiel eine Möglichkeit, die Barriere des Marktversagens zu adressieren. Auf Akteursseite korrespondiert dieser Maßnahme das Verursacherprinzip, das ja den Verursacher eines Schadens für dessen Bewältigung rechenschaftspflichtig macht.
Der von mir vorgeschlagene Kanon von Barrieren und Prinzipien erhebt natürlich keinen Anspruch auf Vollständigkeit und wird sicher noch korrigiert und ergänzt werden müssen. Doch halte ich einen solchen Ansatz für sehr vielversprechend: auf der systemischen Ebene wird durch eine möglichst umfassende Analyse der Barrieren der Komplexität der tatsächlichen Herausforderungen Rechnung getragen. Damit wird einer Simplifizierung, wie sie sich zum Beispiel durch eine zu starke Betonung moralischen Verhaltens entstehen kann (z.B. „wenn sich nur jeder richtig verhalten würde“), entgegengewirkt. Auf der Ebene der Akteure hingegen wird die Komplexität reduziert, was vor Überforderung und Apathie schützt und konkrete Schritte zum Handeln aufzeigt.
Christian Berg
Publiziert im Mai 2021
Sie lesen lieber aus einem Buch? Sie finden diesen Artikel auch in unserem dritten Buch zu dieser Webseite, "Gottes Schöpfung und menschliche Technik" (Darmstadt 2022). 17 namhafte Autoren führen den Dialog mit Wissenschaft und Technik angesichts der Gottesfrage weiter.
Christian Berg beschäftigt sich seit fast 20 Jahren mit dem Thema Nachhaltigkeit:
- in der Wirtschaft: er hat dieses Thema viele Jahre in der Managementberatung der SAP verantwortet, ist Mitglied im Anlageausschuss der GLS Bank und arbeitet als Keynote Speaker und Coach für unternehmerische Nachhaltigkeit;
- in Forschung und Lehre: er ist Honorarprofessor für Nachhaltigkeit und Globalen Wandel an der Technischen Universität Clausthal und Gastprofessor für Corporate Sustainability an der Universität des Saarlandes;
- in der Zivilgesellschaft engagiert er sich für den Club of Rome, dessen deutschen Präsidium er angehört.
Vergangenes Jahr ist sein neues Buch erschienen (Ist Nachhaltigkeit utopisch? Wie wir Barrieren überwinden und zukunftsfähig handeln), das nicht nur ein aktueller Club of Rome-Bericht ist, sondern von der Friedrich-Ebert-Stiftung auch für die Auszeichnung „Das politische Buch“ nominiert worden ist.
Studiert hat Christian Berg Physik (Diplom), Philosophie (M.A.) und Theologie (Mag. theol.), promoviert hat er in Systematischer Theologie (Dr. theol.) und Ingenieurwissenschaften (Dr.-Ing.).
Weitere Informationen unter: www.christianberg.net
Bildnachweis
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