Diskussion zur Fortpflanzungsmedizin - wie gut ist Familie planbar?
Von Stephan Schleissing und Christine Schliesser
Als bekannt wurde, dass die Unternehmen Facebook und Apple künftig für ihre Mitarbeiterinnen die Kosten für das Einfrieren von Eizellen finanzieren, war die Empörung hierzulande groß. Die Fortpflanzungsmedizin verändert unser Verständnis von Vater, Mutter und Kind. Erschüttert sie auch unser Verständnis von Familie?
Social egg freezing ist nicht der Königsweg für Paare, die zu einem Zeitpunkt ihrer Wahl Eltern werden wollen. Denn auch wenn Eizellen, die vor dem 30. Lebensjahr gewonnen werden, eine gute Befruchtungsrate aufweisen, altert doch der Uterus der Frau mit den Jahren. Ursprünglich diente das Einfrieren von Eizellen ausschließlich therapeutischen Zwecken. Es ist ein Angebot für jüngere Frauen, die schwer erkranken und z.B. aufgrund einer Krebstherapie befürchten müssen, unfruchtbar zu werden. Weil die Technik es ermöglicht, sich auch in solchen dramatischen Lebenssituationen die Tür für einen späteren Kinderwunsch offen zu halten, stellt sie in dieser Perspektive ohne Zweifel einen medizinischen Fortschritt dar, der von den Betroffenen auch so erlebt wird.
Von einem solchen Fortschritt sprechen wir immer dann, wenn es durch Erfindungen in Wissenschaft und Technik dem Menschen ermöglicht wird, seine Zukunft offenzuhalten. In dieser Perspektive wird Technik als Potenzialität zum Thema. Damit jedoch aus Möglichem auch Wirkliches werden kann, muss etwas dazukommen, was neben der Machbarkeit auch die Frage der Verantwortbarkeit technischen Fortschritts umfasst. Die strittige Frage ist hier, ob bereits die bloße Potenzialität einer technischen Lösung einen „Sachzwang“ ausübt oder ob wir uns bei deren praktischer Verwirklichung nach wie vor die Freiheit nehmen können, auch nach ethischen Kriterien zu wählen.
Die kritische Diskussion nach der Ankündigung von Apple und Facebook, sich künftig in erheblichem Umfang an den Kosten eines egg freezing zu beteiligen, damit ihre Mitarbeiterinnen entspannter ihre Karriere planen können, macht diese Ambivalenz von Freiheit und Zwang durch technische Möglichkeiten anschaulich. Müssen sich Frauen, die Karriere machen wollen, künftig für ihre Schwangerschaft vor dem Arbeitgeber rechtfertigen? Kritiker warnen: Der Druck zur Selbstoptimierung wird durch die neuen Fortpflanzungstechniken anwachsen, er reicht jetzt bis in die Eierstöcke. Dagegen wenden Befürworter ein, dass der Zwang, zwischen Familie und Karriere wählen zu müssen, nicht nur unsolidarisch, sondern in der Tendenz auch frauenfeindlich ist. Damit werde ein patriarchalisches Familienverständnis fortgeschrieben, das sich zuletzt gegen das Familienideal wende. So konstatierte die Göttinger Medizinethikerin Claudia Wiesemann in einem Spiegel-Interview (17/2014): „Die gesamte bürgerliche Heiratspolitik der letzten Jahrhunderte folgte ja dem Prinzip, dass der Mann über ein solides Alter, ein solides Einkommen und einen soliden sozialen Rang verfügen sollte. Jetzt vollziehen späte Mütter diesen biografischen Entwurf nach. Sie finden dafür nur weit weniger Akzeptanz.“
Das bürgerliche Familienideal
Die Erinnerung an das bürgerliche Familienideal ist wichtig, weil sie deutlich macht, dass die Inanspruchnahme von Freiheit beim Kinderkriegen nicht abstrakt, aber eben auch nicht bloß individuell vonstattengeht. Ethische Fragen der Fortpflanzungsmedizin fügen sich insofern nicht der Alternative einer prinzipienethischen oder situationsethischen Abwägung. Von großer Bedeutung ist insbesondere die prägende Rolle von Familienbildern. Gerade eine evangelische Ethik der Fortpflanzungsmedizin wird dabei die Rolle von Lebensformen nicht außer Acht lassen.
Jeder Mensch, ob Mann oder Frau, ist immer Kind von jemandem. Die eigene Familie ist insofern nicht wählbar, auch wenn die Beziehungen zu einzelnen Mitgliedern sistiert werden können. Zu einem bürgerlichen Ideal wird dieses quasi natural vermittelte Vorverständnis von Familie freilich erst in dem Moment, wo die Partnerschaft von Vater und Mutter als dauerhaft verstanden wird, wofür in unserem Kulturkreis das christliche Verständnis von Ehe das Beispiel abgibt. Konstitutiv für dieses bürgerliche Eheideal ist dabei die Offenheit für eigene Kinder, deren Betreuung und Förderung allerdings nicht in die Zuständigkeit von Stammes- oder Staatsinteressen, sondern in die primäre Verantwortung der Eltern gelegt ist. Das erklärt auch, warum die Familie in der bürgerlichen Tradition zum Residuum des Privaten avancierte, was den wesentlichen Hintergrund für den auch verfassungsrechtlichen Schutz von Ehe und Familie nach GG Art. 6 abgibt.
Aber: Das bürgerliche Eheverständnis ist ein geschichtlich gewachsenes Ideal und keine Schöpfungsordnung. Von der endzeitlichen Abstinenz familiärer Bindungen, wie sie noch für die Nachfolgepraxis zurzeit Jesu üblich war (vgl. Mt 4,18-22), führt insofern kein direkter Weg zu einem christlichen Verständnis von Familie unter modernen Bedingungen. In unserer Gegenwart hat sich nun ein Verständnis durchgesetzt, dass die Lebensform von Ehe und Partnerschaft im Lichte der Lebensform Familie entwirft. Von ihr her erfährt das Gut der dauerhaften Verlässlichkeit, das Verwandtschaftsbeziehungen eignet, seine Bestimmtheit. Dem korrespondiert ein Verständnis von Ehe als rechtlicher Ausdruck der Bereitschaft zweier Partner zu einem institutionell verankerten Versprechen gegenseitiger Liebe. Die Tatsache, dass auch so genannte eingetragene Lebenspartnerschaften zwischen Menschen gleichen Geschlechts heutzutage rechtlich geschützt werden, ist Ausdruck der Attraktivität dieser Lebensform.
Offene Rechtsfragen der modernen Fortpflanzungsmedizin
Angesichts der modernen Fortpflanzungsmedizin stellt sich heute gleichwohl als zentrale Frage, inwiefern auch andere Partnerschaften als diejenigen zwischen den leiblichen Eltern als Familien möglich sein sollen, ohne dabei elementare Kinderrechte zu verletzen. Diese Frage betrifft vor allem die heterologe Samen- und Eizellspende, bei der die genetischen und sozialen Eltern nicht identisch sind. Erstere ist in Deutschland nach den Bestimmungen der (Muster-)Richtlinie der Bundesärztekammer zur Durchführung der assistieren Reproduktion von 2006 nur für solche Paare möglich, die in einer „stabilen Partnerschaft“ leben (BÄK-RL-AR 3.1.1.). Alleinstehende Frauen, aber auch gleichgeschlechtliche Partnerschaften sollen demnach keine medizinische Assistenz bei der Fortpflanzung erhalten. Anders geregelt ist die Eizellspende in Deutschland. Sie ist nach dem Embryonenschutzgesetz (§1 Absatz 1 Nummer 1 EschG) vor allem deshalb verboten, weil befürchtet wird, dass eine „gespaltene Elternschaft“ zu einer Identitätsstörung beim Kind führen könne.
Ähnliche Fragen stellen sich auch bei der Embryonenspende, die in Deutschland bisher noch kaum stattfindet. Dabei werden in der Regel „überzählige“ – d.h. vom erzeugenden Paar nicht mehr gebrauchte oder gewollte – befruchtete Eizellen auf die Wunschmutter übertragen. Eine Diskussion über die Embryonenspende ist notwendig, weil Embryonen inzwischen aufgrund der sehr gebräuchlichen Methode der Kryokonservierung (Einfrieren) in hoher Zahl vorliegen; als Alternative käme für diese lediglich deren Verwerfung – also: Vernichtung – in Frage.
Wie kann man nun angesichts der neuen Entwicklungen auf dem Gebiet der Fortpflanzungsmedizin in ethischer Hinsicht votieren? Sollen dabei nur Fragen von Autonomie, Kindeswohl und Gesundheitsschutz diskutiert werden oder sollen auch Aspekte des bürgerlichen Familienverständnisses Beachtung finden – und gegebenenfalls fortgeschrieben werden? Gegenwärtig findet in Deutschland eine intensive Diskussion darüber statt, inwiefern die bestehenden Regelungen des EschG – z.B. beim Verbot der Eizellspende – oder die Regelungen der Bundesärzteschaft angesichts der Fortschritte auf dem Gebiet der Reproduktionsmedizin, aber auch angesichts der veränderten gesellschaftlichen Einstellungen zu Kinderwunsch und Partnerbeziehung noch zeitgemäß sind. So hat eine Gruppe von sechs Augsburger und Münchner Juristen jüngst den Entwurf eines Fortpflanzungsmedizingesetzes zur Diskussion gestellt, in dem sie eine Abkehr von der bisherigen „Strategie veralteten Rechts“ vorschlagen. Den Reformbedarf begründen die Autoren des so genannten Augsburg-Münchner Entwurfs damit, dass „die faktische Technikentwicklung den Embryonenschutz insgesamt rechtlich durchlöchert hat: Je mehr das ESchG biotechnisch veraltet, desto mehr verliert es seine normative Steuerungskraft. Damit verschiebt sich die Regelungshoheit vom parlamentarischen Gesetzgeber zu den ärztlichen Standesorganisationen“. Das allerdings wird als tendenziell undemokratisch kritisiert. Der Gesetzgeber müsse darauf mit einem Fortpflanzungsmedizingesetz reagieren. Ausgehend von der „lückenlosen Ausgangsvermutung zu Gunsten der Freiheit jedermanns“ kommt der Gesetzentwurf zu einer insgesamt liberalen Regulierung der Fortpflanzungsmedizin in Deutschland. Seine erklärte Absicht ist es, zunächst einmal die „einschlägigen Interessen im grundrechtlichen Argumentationsschema […] zu erfassen – und sie nicht vorschnell auszublenden, etwa aus ethischen, religiösen oder sonstigen Präferenzen“ [2]. Und in der Tat: Fragen des Personenstands von Eltern oder gesellschaftliche Einstellungen zu Familie und Kinderwunsch spielen in dem Entwurf keine Rolle.
Das Ethos der Elternschaft in liberaler Perspektive
Aus einer liberalen Perspektive ist dieser Entwurf zu begrüßen, denn angesichts der Pluralisierung von Lebensformen erscheint es plausibel und auch wünschenswert, dass der Gesetzgeber das tradierte Ideal von Familie als Einheit der leiblichen Eltern mit ihren Kindern nicht mehr zur exklusiven Sozialgestalt familiärer Beziehungen erklärt. Gleichwohl ist das Strafgesetz nur sehr bedingt geeignet, z.B. Fragen des Kindeswohls hinreichend zu regeln. Inwieweit z.B. Aspekte der Identitätsfindung eines Kindes durch eine geteilte Elternschaft berührt werden, hängt immer auch davon ab, wie Elternschaft und Familie gelebt und in ihnen Herkunftsfragen kommuniziert werden. Gesetzliche Regulierungen im Ausgang von der „reproduktiven Autonomie“ des Individuums sind wichtig, sofern sie sich als Abwehrrechte des Einzelnen gegenüber dem Staat entwerfen. Mindestens ebenso wichtig sind aber Fragen nach den Ermöglichungsbedingungen individueller Freiheit, die sich auf das Ethos der Elternschaft und die Familienführungspraxis beziehen. Darum bleibt aus meiner Sicht gerade eine liberale Regulierung der Fortpflanzungsmedizin auf sozialethische Erwägungen angewiesen, bei deren Durchsetzung der Gesetzgeber allerdings neben der Ärzteschaft vor allem auf die prospektiven Eltern angewiesen ist. Zwei Aspekte sollen hier abschließend skizziert werden.
(1) Das grundsätzliche Recht auf Fortpflanzung ist in erster Linie ein Freiheitsrecht und kein Leistungsanspruch. Darum folgt aus diesem Grundrecht zwar, dass Menschen grundsätzlich nicht daran gehindert werden dürfen, eine bestimmte Fortpflanzungstechnik in Anspruch zu nehmen. Es lässt sich jedoch daraus kein Recht ableiten, eine bestimmte Technik auch tatsächlich in Anspruch nehmen zu können oder finanziert zu bekommen. Tatsächlich werden aber Maßnahmen der „künstlichen Befruchtung“ nach § 27a Sozialgesetzbuch V durch die Krankenkassen finanziert, sofern antragstellende Paare verheiratet sind und ausschließlich Ei- und Samenzellen der Ehegatten verwendet werden. Der Ausschluss anderer Familienkonstellationen ist jedoch, wie oben dargelegt, nur schwer mit dem Kindeswohl zu begründen. Hinzu kommt, dass eine Legalisierung z.B. der Samenspende bei alleinstehenden Frauen oder aber der Eizellspende mögliche Probleme bei der Identitätsfindung des Kindes bewirken kann, aber eben nicht muss. In rechtlicher Hinsicht erscheint deshalb ein Ausschluss als überzogener Eingriff in die Autonomie der Fortpflanzung. Aber muss darum staatlicherseits bzw. durch die Sozialverbände auf eine Übernahme von medizinischen Leistungen durch die Kassen hingewirkt werden? Plausibler erscheint demgegenüber eine Regulierung der Zugangsmöglichkeiten über einen strukturierten Markt, indem entsprechende vertrags- und haftungsrechtliche Regelungen (z.B. durch Garantiepflichten) greifen. Diese Form der Regulierung könnte strafrechtliche Regelungen nicht nur ergänzen, sondern ggf. auch ersetzen. Der Gesetzgeber würde damit dokumentieren, dass er die staatliche Förderung des Zugangs zu reproduktionsmedizinischen Leistungen nach wie vor an ein hohes Schutzniveau für das Kind bindet. Zugleich würde er dem formellen Gleichheitssatz eine größere Bedeutung zumessen, indem die Gestaltungsfreiheit familiärer Lebensformen als Ausdruck verantwortlicher Elternschaft stärker an individuellen Freiheitsrechten der Eltern ausgerichtet werden könnte, anstatt mithilfe eines normativen Familienbildes auf der Ebene des Strafrechtes zu intervenieren.
(2) Wer für staatliche Enthaltsamkeit in normativen Fragen des Familienverständnisses optiert, der muss zugleich angeben, wo diese „ausgehandelt“ werden sollen. Angesichts der Pluralität der Lebensformen erscheint es mir in dieser Situation weiterführend, vor allem auf das Ethos der Elternschaft zu setzen. Denn dies ist der Ort, wo für Entscheidungen der Familienplanung auch tatsächlich die Verantwortung für die Folgen getragen wird. Fragen des Kindeswohls sind in elementarer Weise von der Bereitschaft der Eltern abhängig, als Familie eine verlässliche und dauerhafte Beziehung führen zu können. In ethischer Sicht werden dabei nicht nur Pflichten und Rechte berührt, sondern ebenso sehr beziehungsethische Fragen zum Thema, die in den Bereich der Tugendethik verweisen. Seit jeher hat sich das bürgerliche Familienideal genau auf diese Fragen einer beziehungsethischen Praxis bezogen. Die „Tugenden“ einer gelingenden Familiengründung und -praxis können freilich nur in sehr begrenzter Weise Thema des ärztlichen Beratungsgesprächs sein. Stärkere Berücksichtigung erfahren sie in den psychosozialen Beratungsangeboten. Aber vor allem innerhalb der Familien, Verwandtschaften und Freundschaften findet gegenwärtig ein intensiver Austausch nicht nur über die medizinischen Möglichkeiten des „Kinderkriegens“, sondern auch über die wechselseitigen Einflüsse von Fortpflanzungsmedizin und Familienführungspraxis statt. Zur gegenseitigen Beratung an all diesen Orten könnte gerade die Reflexion verantwortlicher Elternschaft angesichts der Möglichkeiten der Fortpflanzungsmedizin einen Beitrag leisten.
Dr. Stephan Schleissing
Geschäftsführer Institut Technik-Theologie-Naturwissenschaften, München
Respons von Christine Schliesser
„Wie gut ist Familie planbar?“ Diese Fragestellung lässt zwei Lesarten zu. Gefragt wird erstens nach der Planbarkeit von Familie v.a. im Blick auf die Realisierung eines Kinderwunsches. Zugleich enthält diese Fragestellung eine weitere Dimension, indem zweitens auf die Plan- bzw. Veränderbarkeit von Familie als sozialer Konstruktion verwiesen wird, d.h. auf das, was unter dem Begriff „Familie“ verstanden wird. Dabei stehen jeweils vor allem die ethischen Implikationen beider Aspekte im Vordergrund. Entsprechend präzisiert lassen sich daher folgende zwei Fragestellungen ausmachen, auf die auch Schleissing in seinem Beitrag eingeht:
(1.) Wie sind aus ethischer Perspektive neue Techniken der Fortpflanzungsmedizin zu bewerten, beispielsweise das „Social Egg Freezing“, für das Unternehmen wie Apple und Facebook ihren Mitarbeiterinnen seit Kurzem die Kostenübernahme anbieten?
(2.) Welche Auswirkungen hat die sich stets weiterentwickelnde Fortpflanzungsmedizin auf unser Verständnis von Familie?
Social Egg Freezing, Leihmutterschaft, Embryonen- und Eizellspenden – Was sollen wir dürfen?
So unterschiedlich die folgenden Beispiele ethisch umstrittener Möglichkeiten der Fortpflanzungsmedizin sind, haben sie doch eins gemein. Es sind Versuche, ein Geschehen zunehmend zu regulieren und zu kontrollieren, das einst technischer Kontrolle so gänzlich entzogen schien: die menschliche Reproduktion.
Das Umstrittene am von Schleissing angeführten Social Egg Freezing ist das Adjektiv „social“. Damit unterscheidet es sich von anderen ethisch ebenfalls strittigen Bereichen der Fortpflanzungsmedizin wie Eizellspende oder Leihmutterschaft, die oftmals auf einer medizinischen Indikation (z.B. Unfruchtbarkeit oder schwere Erbkrankheiten) beruhen und der unmittelbaren Erfüllung des Kinderwunsches dienen sollen. Die Diskussion um das Social Egg Freezing wird zu Recht vor allem unter dem Blickwinkel der Vereinbarkeit von Familie und Beruf geführt. Jede Maßnahme, die zu dieser Vereinbarkeit beiträgt, ist grundsätzlich zu begrüßen. Doch ist das Social Egg Freezing tatsächlich ein solch gewaltiger Schritt in diese Richtung, als der es von den besagten Unternehmen gepriesen wird? Mir scheint, in der Fokussierung auf eine reproduktionstechnische Methode, deren Erfolgsquote – ähnlich wie bei der IVF mit frischen Eizellen – 20-30% beträgt, gehen zwei andere zentrale Aspekte im Ringen um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf unter: Zum einen findet dadurch eine einseitige Verlagerung der Verantwortung für diese Vereinbarkeit statt, und zwar von Politik und Arbeitgeber auf die Frau. Dabei gehört es zu den zentralen Aufgaben des Arbeitgebers für diese Vereinbarkeit durch entsprechende familienfreundliche Maßnahmen wie Teilzeitarbeit, Kinderbetreuungsangebote, etc. zu sorgen, während die Politik geeignete Rahmenbedingungen dafür zu schaffen hat. Zum anderen ist in dieser Diskussion eine bemerkenswerte Kurzsichtigkeit zu beobachten. Mit einer erfolgreichen Schwangerschaft und Geburt mit Hilfe von Social Egg Freezing sind die Schwierigkeiten, Karriere und Kind zu verbinden, nicht gelöst, sondern sie fangen an. Kinder kommen, um zu bleiben. Und das gilt am Anfang wie auf dem Höhepunkt einer Karriere.
Doch was tun, wenn nicht die Karriere, sondern der eigene Körper dem Wunsch nach einem eigenen Kind im Wege steht? Insbesondere bei einer Unfruchtbarkeit der Frau – und oftmals erst nach langwierigen, körperlich und seelisch strapaziösen und doch erfolglos gebliebenen IVF-Versuchen – kann sich die Frage nach einer Leihmutterschaft stellen. In Deutschland ist die Leihmutterschaft durch das Embryonenschutzgesetz (EschG) verboten, anders als beispielsweise in einigen U.S.-amerikanischen Bundesstaaten, Indien oder der Ukraine. In der Diskussion sind die Perspektiven aller drei betroffenen Parteien zu bedenken: die der Leihmutter, der Wunscheltern sowie des Kindes. Als besonders bedeutsam erweisen sich hier die Fragen nach einer Instrumentalisierung der Leihmutter, insbesondere unter Berücksichtigung der Aspekte Körperlichkeit und personaler Integrität, nach einer Kommerzialisierung der Mutter-Kind-Sphäre sowie nach dem Kindeswohl. Um Schwangerschaft bzw. Mutterschaft nicht zur Ware zu machen, ist die kommerzielle Leihmutterschaft grundsätzlich abzulehnen. Hinzu kommen ungelöste rechtliche Fragen, auf die jüngst der Fall Gammy schmerzhaft aufmerksam gemacht hat, als australische Wunscheltern eine thailändische Leihmutter mit dem behinderten Baby im Stich ließen und nur dessen gesunde Zwillingsschwester zu sich nahmen. Das in Deutschland bestehende gesetzliche Verbot der Leihmutterschaft ist daher als „Schutzschild“ für Frau und Kind weiterhin sinnvoll, auch wenn aus ethischer Perspektive Konstellationen (z.B. altruistische Leihmutterschaften) denkbar sind, die bisweilen einen differenzierteren Umgang wünschenswert erscheinen lassen.
Notwendiger als eine Diskussion über Leihmutterschaft erscheint daher momentan eine längst überfällige Neuregelung des geltenden Adoptionsrechts. Bisher gilt, dass der Altersunterschied zum Kind höchstens 40 Jahre betragen sollte. Angesichts eines stetig steigenden Alters von Erstgebärenden sowie einer Zunahme an so genannten „späten Mutterschaften“ jenseits der 40, ist diese Grenze nicht mehr vertretbar. Da in Deutschland auf ein zur Adoption freigegebenes Kind durchschnittlich sieben Bewerbungen kommen, ist auch eine Vereinfachung des aus dem Jahr 1976 stammenden Adoptionsvermittlungsgesetzes (AdvermiG) dringend geboten.
In diesem Zusammenhang treten auch die Fragen nach der Zulässigkeit der Embryonenspende und Eizellspende in den Blick. Bei der Embryonenspende werden infertilen Frauen ohne eigene intakte Eizellen imprägnierte Eizellen oder Embryonen eingesetzt, die aus einer abgeschlossenen Kinderwunschbehandlung eines anderen Paares stammen und die ansonsten entweder vernichtet oder dauerkonserviert würden. Geschieht die Embryonenspende unter Einhaltung bestimmter Kriterien, darunter die Nicht-Kommerzialisierung und das Beachten des späteren Rechts des Kindes auf Wissen um seine Herkunft, ist sie als eine Art „Frühstadoption“ durchaus bedenkenswert.
Anders als die Embryonenspende, deren rechtliche Handhabung bisher noch eine Gesetzeslücke in Deutschland darstellt, ist die Eizellspende durch das EschG explizit verboten. Doch auch hier ließe sich analog zur Embryonenspende argumentieren und eine nicht-kommerzielle, altruistische Eizellspende vertreten, vorausgesetzt auch hier, dass das Kind die Möglichkeit erhält, um seine Herkunft zu wissen. Schleissing ist zuzustimmen, wenn er bezüglich der Embryonen- und Eizellspende eine öffentliche Diskussion fordert.
Die Fortschritte der Fortpflanzungsmedizin stellen selbst althergebrachte Selbstverständlichkeiten wie das mater semper certa est in Frage. Zu Recht macht daher Schleissing darauf aufmerksam, dass ein verändertes Verständnis von Vater, Mutter und Kind nicht ohne Auswirkungen auf das bleiben wird, was wir traditionell unter „Familie“ verstehen.
Zur Zukunftsfähigkeit von Familie
Wie steht es daher um die Zukunftsfähigkeit von Familie? Drei Gründe tragen dazu bei, dass die traditionelle Vater-Mutter-Kind-Familie als soziale Einheit von Eltern mit ihren leiblichen Kindern heute an Selbstverständlichkeit verloren hat. (1.) Das Verständnis des Menschen als soziales Wesen konkurriert mit einem Menschenbild, das das Individuum ins Zentrum rückt. (2.) Gesellschaftliche Veränderungen im Blick auf die gelebte Sexualität sowie die soziale Funktion der Familie lassen die Bedeutung von Ehe und Familie schwinden. (3.) Angesichts der Pluralisierung von gesellschaftlich akzeptierten Formen menschlichen Zusammenlebens – Ein-Eltern-Familien, Patchwork-Familien, Regenbogenfamilien, Mehrgenerationenhäuser, etc. – nimmt die normative Funktion der traditionellen Vater-Mutter-Kind-Familie ab.
Angesichts dieser Bestandsaufnahme scheint es nachvollziehbar, wenn sich Schleissing kritisch mit dem besonderen verfassungsrechtlichen Schutz von Ehe und Familie nach Art. 6 GG auseinandersetzt. Insbesondere unter der Perspektive reproduktionsmedizinischer Implikationen kommt er daher zu dem Ergebnis, dass der Gesetzgeber „Enthaltsamkeit in normativen Fragen des Familienverständnisses“ üben sollte.
Ich möchte im Folgenden versuchen, mich der Thematik aus einer anderen Richtung zu nähern. Den oben genannten Beobachtungen, die an der Zukunftsfähigkeit des Modells Familie zweifeln lassen, können drei Argumente gegenüber gestellt werden. (1.) Der Mensch ist sowohl Individuum als auch ein Beziehungswesen. Seine soziale und seine individuelle Gestalt sind daher miteinander in Verbindung, nicht in Konkurrenz zu sehen. (2.) Ein Blick in die Sozialgeschichte zeigt, dass gesellschaftliche Veränderungen schon immer mit Auswirkungen auf das Familienverständnis verbunden waren. Statt diese Entwicklungen daher einseitig als Verfallsgeschichte zu begreifen, ist vielmehr die bemerkenswerte Wandlungsfähigkeit der Familie zu würdigen. (3.) Die Ergebnisse aktueller Umfragen lassen Zweifel an der Plausibilität der These aufkommen, aus der Pluralisierung von Lebensformen folge, dass Ehe und die traditionelle Familie Auslaufmodelle seien. Zwei dem Institut für Demoskopie Allensbach in Auftrag gegebene bevölkerungsrepräsentative Mehrthemenumfragen von Personen ab 16 Jahren zu Partnerschaft („Partnerschaft 2012“) und Familie („Glücksfaktor Familie“ 2013) zeigen einen Langzeittrend zur Einstellung der Deutschen zur Ehe auf: Seit 1981 und gestiegenen Scheidungsraten zum Trotz gilt die Institution der Ehe rund drei Vierteln der Bevölkerung nicht als überholt. Quer durch die Bevölkerungsschichten und Altersgruppen werden „traditionelle“ Werte wie Treue, Verlässlichkeit und Ehrlichkeit mit 78% als am bedeutendsten für eine Partnerschaft angesehen. Gefragt nach dem, was im eigenen Leben das Wichtigste ist, setzen zu jeweils rund 90% Personen in Paarbeziehungen sowie Eltern die Familie im Leben ganz obenan. Als Glücksfaktor stehen Ehe/Partnerschaft und die Familie für die Deutschen damit an erster Stelle.
Der besondere Schutz von Ehe und Familie, wie er im GG Art 6 zum Ausdruck gebracht wird, ist daher nicht als Ausdruck eines anachronistischen und damit überholten „normativen Familienbildes“ zu verstehen, sondern befindet sich im Einklang mit den tatsächlichen gesellschaftlichen Bedürfnissen und Gegebenheiten. Indem Pluralität geachtet wird – beispielsweise wenn in einer Regenbogenfamilie das leibliche oder adoptierte Kind der einen Partnerin auch von der anderen Partnerin adoptiert werden kann – „strahlt der verfassungsrechtliche Schutz für Ehe und Familie (Art. 6, Abs. 1 des Grundgesetzes) auf die verschiedenen Lebensformen aus“ (Huber 2013:35).
Abschließend möchte ich noch auf das von Schleissing propagierte „Ethos der Elternschaft“ eingehen. Damit macht Schleissing zu Recht darauf aufmerksam, dass sich das Kindeswohl nicht vom Wohl der Eltern bzw. ihrer Beziehung trennen lässt. Hier sind Kirchen, Politik und Gesellschaft in besonderer Weise gefordert, Eltern Unterstützung zukommen zu lassen und damit Verlässlichkeit und Verantwortung in unserer Gesellschaft zu stärken. Dazu sind konkrete Maßnahmen wie Elternkurse, praktische Erziehungstipps und gute, bezahlbare Kinderbetreuungsangebote genauso notwendig wie eine positive öffentliche Diskussionskultur, die Kinder nicht primär als Armutsrisiko thematisiert, sondern als Hoffnungsträger für die Zukunft.
Dr. Christine Schliesser,
Ethik-Zentrum der Universität Zürich
Die Diskussion wurde veröffentlicht im Februar 2015
Literatur
Literatur zum Leitartikel von Stephan Schleissing:
- Anselm, Reiner und Dabrock, Peter: Die Lebensform Familie als „Leitbild“ für Ehe und Partnerschaft, in: Hilpert, Konrad / Laux Bernhard (Hrsg): Leitbild am Ende? Der Streit um Ehe und Familie, Freiburg i.Br., Herder Verlag 2014, 103-116.
- Gassner, Ulrich / Kersten, Jens / Krüger, Matthias / Lindner, Josef Franz / Rosenau, Henning / Schroth, Ulrich: Fortpflanzungsmedizingesetz. Augsburg-Münchner Entwurf, Tübingen, Mohr Siebeck 2013.
- Schleissing, Stephan (Hrsg.): Ethik und Recht in der Fortpflanzungsmedizin. Herausforderungen, Diskussionen, Perspektiven (TTN-Studien Band 2), Baden-Baden, Nomos Verlag 2014.
- Schleissing, Stephan / Kersten, Jens / Thaler, Christian / Schönfeldt, Viktoria von: Ethische Fragen der Reproduktionsmedizin und des Fortpflanzungsmedizinrechts in der aktuellen Diskussion, in: Geburtshilfe Frauenheilkunde (2014) 74(5): 436-440: DOI: 10.1055/s-0034-1368393.
- Wiesemann, Claudia: Von der Verantwortung, ein Kind zu bekommen. Eine Ethik der Elternschaft, München, C.H. Beck 2006.
Literatur zur Respons von Christine Schliesser:
- Huber, W., Ethik. Die Grundfragen unseres Lebens. Von der Geburt bis zum Tod, München 2013.
- Institut für Demoskopie Allensbach. Studie „Partnerschaft 2012. Zwischen Herz und Verstand“. (Letzter Zugriff: 20.1.2015) „Trendcheck: Glücksfaktor Familie.“ 2013. (Letzter Zugriff: 20.1.2015)
- Robertson, John A, Egg Freezing and Egg Banking: Empowerment and Alienation in Assisted Reproduction, in: Journal of Law and the Biosciences 1.2 (2014), 113-136.
- Schliesser, Chr., Körperlichkeit und Kommerzialisierung. Zur theologisch-ethischen Problematik der Leihmutterschaft, in: Zeitschrift für medizinische Ethik (2015), im Druck.
- Weilert, A.K., Fortpflanzungsautonomie als Anspruch, in: Zeitschrift für evangelische Ethik 57 (2013), 48-61.
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