Die Bibel und die Wissenschaften. Wechselwirkungen in Geschichte und Gegenwart herausgegeben von Pierre Bühler
Rezension von Dr. Andreas Losch
Pierre Bühler hat in diesem Band eine Auswahl hochinteressanter interdisziplinärer Zürcher Vorlesungen zusammengestellt, die um das Thema «Bibel und Wissenschaften» kreisen. Dies nicht im engeren Sinne von «Die Bibel hat doch Recht» eines Werner Keller, auch wenn dies ebenso thematisiert wird, sondern in einem sehr breiten Sinne, der ein buntes Kaleidoskop von Perspektiven auf das Verhältnis von Bibel und Wissenschaften eröffnet.
Die Einführung bietet einen konzisen und gelungenen Überblick darüber, was uns in dem Band erwartet. Dies sind nicht nur geisteswissenschaftliche Perspektiven, wie der rezeptionsgeschichtliche oder literaturwissenschaftliche Umgang mit der Bibel oder die Rolle der historisch-kritischen Auslegung, die in Zürich geschichtlich zu einem waschechten Putsch geführt hat – sondern eben auch archäologische Fragen, biblisch motivierte Weltpolitik oder philosophische Lektüren zwischen Athen und Jerusalem, sowie rechtswissenschaftliche Einblicke. Über die Frage von Medizin und Heil und einen Beitrag aus der Psychologie geht es dann in den naturwissenschaftlichen Bereich, der eine sehr verständliche Erklärung der Evolutionstheorie bereit hält, welche die Unzeitgemässheit der Einwürfe des Kreationismus deutlich macht. Den Abschluss bilden einige astrophysikalisch inspirierte Gedanken zu Gottesbildern «und anderen Dingen, die nichts miteinander zu tun haben», aber in ihrer Zusammenstellung durch Arnold Benz dennoch interessant sind, auch wenn sie ein frühes Stadium der theologischen Auseinandersetzung dieses Autors zu kennzeichnen scheinen (die Vorlesungen stammen ursprünglich aus dem Jahre 2007).
Die kluge hermeneutische Bilanz des Herausgebers bringt dann die verschiedenen Perspektiven noch einmal in ein fiktives Streitgespräch, bevor es Wechselwirkungen zwischen den Disziplinen und die Dimensionen der Bibel als «Kultbuch» und «Kulturgut» festhält. Die Spannung zwischen Glauben und Wissen wird so als eine fruchtbare interpretiert, und diese durchweg konstruktive Haltung spürt man dem Band ab.
Samuel Vollenweiders eröffnendem Beitrag ist die Wahl des schönen Titelbildes zu verdanken, das die inneren Querverweise der Bibel nachzeichnet. Die Autoren sind allesamt ausgewiesene Expertinnen und Experten ihres Fachs, was man der Qualität der Beiträge anmerkt. Nur an sehr wenigen Stellen sind kleine Fragezeichen zu setzen, so in dem rechtswissenschaftlichen Beitrag, bei dem nicht klar wird, ob er die alte rabbinische Auslegungspraxis der Talionsformel nicht kennt: «Auge um Auge» bedeutet demnach nicht gleiches mit gleichem zu vergelten, sondern eine Geldersatzleistung zu bringen. Auch die zwar sehr differenzierte psychologische Perspektive in dem Band ist leider allein von Freud inspiriert, was der Buchherausgeber in seiner Bilanz dann aber noch etwas relativiert.
Das Buch kostet einen etwas stattlichen Schweizer Preis, ist aber eben eine sehr anregende Lektüre und diese Investition auf jeden Fall wert.
242 Seiten im Paperback für 46€, vdf Hochschulverlag an der ETH Zürich 2019, ISBN 978-3-7281-3157-7
Dr. Andreas Losch, Bern im April 2020