Wer entdeckte die Allgemeine Relativitätstheorie?

„Natürlich Albert Einstein!“, so habe ich es gelernt; aber es lohnt sich näher hinzusehen, es kommt dabei eine spannende Geschichte heraus.

 

Albert Einstein war im Studium von seinen Lehrern nicht besonders geschätzt; daran war er z.T. auch selbst schuld. Die Mathematik-Vorlesungen besuchte er unregelmäßig und musste vor Prüfungen aus dem Kolleg seines Freundes Marcel Grossmann die Wissenslücken schließen. Aber irgendetwas muss Grossmann an Einstein fasziniert haben, denn zu seinem Vater sagte er schon damals: „Aus dem Albert wird noch mal etwas ganz Großes“. Und Grossmanns Vater besorgte Einstein 1902 die Stelle im Berner Patentamt. Im Jahr 1905 horchte die Fachwelt auf, als Einstein bahnbrechende Arbeiten veröffentlichte (u.A. Äußerer Fotoeffekt, Brownsche Bewegung, Relativitätstheorie). Als sein früherer Mathematiklehrer Hermann Minkowski die Relativitätstheorie las, äußerte er: „Dem [Einstein] hätte ich das gar nicht zugetraut“. Minkowski war einer der besten Mathematiker der Welt. Er durchschaute Einsteins Gleichungen und formulierte sie in tensorieller Schreibweise neu (1908). Jetzt erst zeigte sich die Relativitätstheorie in bestechender Eleganz und Einfachheit. Einstein stöhnte: „Andere haben sich meiner Theorie angenommen, ich verstehe sie jetzt selbst nicht mehr“. Wieder half Marcel Grossmann, der in Zürich Mathematik lehrte und sich mit Tensoren bestens auskannte. Er paukte mit Einstein Tensoralgebra bis es fruchtete. Respektvoll zollte Einstein den Mathematikern Anerkennung.
Die Relativitätstheorie beschrieb bislang Raum-Zeit-Fragen für gleichmäßig zueinander bewegte Koordinatensysteme mit der Lichtgeschwindigkeit als schnellstem Informationsträger. Das war natürlich zu wenig, und Einstein suchte die Verallgemeinerung für beschleunigte Systeme mit Gravitation, d.h. eine „Allgemeine Relativitätstheorie“ als Erweiterung der bisherigen, nun „Speziellen Relativitätstheorie“ genannten. Leider verstarb Minkowski früh (1909), und er konnte die Folgeentwicklung nicht mehr mitgestalten, was er m.E. sonst sicher getan hätte.
Einstein war ein begnadeter Physiker, hinterfragte von Grund auf alles und sprudelte von Kreativität, wie kein anderer. Er erkannte, dass die von Newton bekannte Gleichheit von schwerer und träger Masse (alle Körper fallen gleich schnell) unbedingt erhalten bleiben muss. In genialer Schlussfolgerung formulierte er daraus sein verallgemeinertes Relativitätsprinzip dem eine Allgemeine Relativitätstheorie genügen musste, d.h. dass zur physikalischen Beschreibung alle physikalisch sinnvollen Bezugssysteme gleichberechtigt unverändert bleiben (sog. allgemeine Kovarianz); oder, zwangloser ausgedrückt: "Physikalische Gesetze sollen unabhängig davon sein, in welchem Koordinatensystem sie formuliert werden". Physikalische Größen werden wegen der 4-dimensionalen Raum-Zeit-Metrik durch entsprechende Tensoren beschrieben. Dabei müssen die Erhaltungssätze ihre Gültigkeit behalten. Im Grenzfall verschwindender Beschleunigungen & Geschwindigkeiten (in Bezug zur Lichtgeschwindigkeit) muß die Theorie unsere bekannten Newtonsche Gesetze liefern (Korrespondenzprinzip).

 Einstein listete alles auf, und rief seinen Freund: „Grossmann hilf mir, sonst werd ich verrückt!“ Es begann 1912 eine intensive Zusammenarbeit der beiden, die auch Grossmann bis ans Äußerste forderte. Es war Grossmann, der erkannte, dass die fertig vorliegende Riemannsche Geometrie (Riemann-Tensor und dessen Weiterentwicklungen →Absolutes Differentialkalkül mit Ricci-Tensor) zum Ziel führen kann. Dieser sog. mathematische „Königsweg“ wurde versucht und im heute so berühmten „Zürcher Notizbuch“ von Einstein Schritt für Schritt aufgeschrieben. Man probierte den Ricci-T.; erweiterte ihn um einen Term, heute „Einstein-T.“ genannt und verfiel zuletzt in einen abgewandelten „November-T.“, den man am aussichtsreichsten hielt. Die beiden waren kurz vor dem Ziel, erkannten das aber nicht, und verließen diesen Weg. Der o.g. Newton-Grenzfall schien unerreichbar, und auch noch andere physikalische Bedingungen plagten sie. Die beiden arbeiteten daraufhin eine von der Physik her aufgebaute „Entwurfstheorie“ aus, (die aber nicht ganz allgemein-relativistisch und aus heutiger Sicht daher unakzeptabel war) und veröffentlichten sie (1913). Damit endet das Zürcher Notizbuch.
Einstein kämpfte 2 Jahre, um Bedenken gegen die Entwurfstheorie auszuräumen. Es gelang ihm tatsächlich mehrere „Stolpersteine“ zu beseitigen; aber quasi en passant, dadurch auch die Hindernisse gegen den „Königsweg“. Dies ist ausführlich und wunderbar beschrieben im Buch „Auf den Schultern von Riesen und Zwergen“ von Jürgen Renn. Einsteins älterer treuer Freund aus der Patentamtszeit Michele Besso fand einen Weg, aus den Tensorgleichungen die Peripheldrehung des Merkur auszurechnen (52 Seiten Manuskript). Das Ergebnis war ungenügend, aber es zeigte sich, dass im Verlauf der Ausrechnung -und zwar erst auf der Ebene der Bewegungsgleichungen- tatsächlich der Newtonsche Grenzfall übrig bleibt. Eine der größten Hürden existierte gar nicht, das Korrespndenz-prinzip war erfüllt! Einstein nahm auch einen sehr fruchtbaren Briefkontakt mit dem Ricci-Schüler Tullio Levi-Civita auf, dem führenden Tensor-Mathematiker seiner Zeit. Eine mit den bisher gewonnenen Einsichten versehene Theorie wurde von Einstein an seinem neuen Arbeitsplatz in Berlin vorgestellt (1914). Die Besso-Rechnung würde aber immer noch ein schlechtes Resultat ergeben. Einstein konnte nicht ganz zufrieden sein und er forschte weiter. Viele andere namhafte Physiker versuchten sich ebenfalls an einer Allgemeinen Relativitätstheorie, aber niemand war so weit wie Einstein (es gibt eine wütend geführte Kontroverse mit Max Abraham, dem scheinbar eine sehr elegante, aber falsche Formulierung gelungen war. Einstein war „geblüfft“, wie er sich ausdrückte, und brauchte zwei Wochen, um die „Pferdefüße“ zu finden).
Jetzt kommt der spannendste Teil, denn es tritt der größte Mathematiker seiner Zeit, David Hilbert, auf den Plan. Hilbert lud im Sommer 1915 Einstein für mehrere Tage zu sich nach Göttingen ein, um Einstein über seine Arbeit referieren zu lassen. Hilbert stellte viele Fragen, machte sich Notizen und Einstein erkannte, dass Hilbert der Einzige war, der ihn voll verstanden hat. Umgekehrt war Hilbert von Einsteins profunden physikalischen Einsichten fasziniert. Hilbert sah eine Chance den Königsweg zu gehen und zog sich für einige Zeit in die Ruhe Rügens zurück. Dort versuchte er es und wollte auch noch die Elektrodynamik mit einbeziehen, also zu einer "Allgemeinen Feldgleichung" -heute würde man sagen "Weltformel"- zu kommen.

 Für Einstein überstürzen sich jetzt die Ereignisse. Hilbert signalisiert Einstein, dass der Königsweg (der axiomatische Weg, wie Hilbert sich ausdrückte) wohl gangbar sei, und nennt ihm einen Rechenfehler in seinen (Einsteins) Tensor- Ausdrücken. (Übrigens: Besso hat Einstein wiederholt auf Rechenfehler aufmerksam gemacht, die Einstein manchmal sehr verzögert annahm). Einstein selbst fand bei sich einen schwerwiegenden Überlegungsfehler (man schätzt dieses Datum auf den 15. Oktober 1915), so dass für ihn jetzt das Maß voll war. Hilbert im Nacken spürend, schwenkte Einstein auf den mathematischen Königsweg aus seinem Zürcher Notizbuch zurück. Er knöpfte sich den November-Tensor vor, und er präsentierte stolz in Berlin am 4. November 1915 eine „fast“ fertige Theorie und unterrichtete Hilbert. Dieser fand Abweichungen zu seiner eigenen Arbeit, und es ist möglich, dass er Einstein einen Hinweis gab. Einstein ruhte nicht, und arbeitete eine neue Variante mit dem Ricci-Tensor aus, die er am 11. November vorstellte. Vorteil: Diesmal war das Relativitätsprinzip erstmalig vollständig erfüllt, allerdings nur für schwache Gravitationsfelder. Hilbert wurde sofort informiert, und dieser lud Einstein für den 16. November nach Göttingen ein, zur Präsentation der nun fertigen Hilbertschen Arbeit. Einstein lehnte ab, und schob Magenbeschwerden als Grund vor; in Wirklichkeit arbeitete Einstein wie ein Besessener die Besso-Rechnung nochmals durch und triumphierte am 18. November in Berlin mit dem korrekten Wert der Merkur-Peripheldrehung. (43 Bogensekunden pro Jahrhundert, genau der Wert, den die Astronomen bisher nicht erklären konnten). Sofort schrieb er Hilbert und bat im Gegenzug: „Schicken Sie mir bitte, wenn möglich, ein Korrektur-Exemplar Ihrer Untersuchung, um meiner Ungeduld entgegenzukommen.“
Hilbert muss tief beeindruckt gewesen sein, der bereits am 19. November antwortete: „Wenn ich so rasch rechnen könnte, wie Sie, müsste bei meinen Gleichungen entsprechend das Elektron kapitulieren und zugleich das Wasserstoffatom sein Entschuldigungszettel aufzeigen, warum es nicht strahlt.“
Was hat Hilbert mit gleicher Post (oder sogar schon am 17/18.11.) zu Einstein noch geschrieben? Einstein nahm sich nun aus seinem Zürcher Notizbuch den Einstein-Tensor vor, und trug in Berlin am 25.November 1915 seine heute noch gültigen Feldgleichungen der Allgemeinen Relativitätstheorie vor. Es war geschafft! Dabei hatte er noch Glück, dass die noch nicht vollkommene Theorie vom 11.November doch den richtigen Merkur-Wert erbrachte.
Hilbert reichte seine Arbeit am 20.November zum Druck in Göttingen ein –also 5 Tage vor Einstein-, und erhielt am 6.Dezember die Druckfahnen zur Korrektur zurück. Zu diesem Zeitpunkt war die Einsteinsche Arbeit bereits veröffentlicht (2.12.), und Einstein hat Abzüge an viele Mathematiker und Physiker verschickt. Hilberts Arbeit wurde erst Anfang Februar 1916 veröffentlicht. Obwohl Hilbert die Gravitations- Feldgleichungen selbst nicht niedergeschrieben hat, hat er den richtigen Weg dorthin aufgezeigt. Für einen großen Mathematiker genügt das; die Feldgleichungen selbst sind dann nur „Kleinkram“. Sein Ziel, den Elektromagnetismus mit einzubeziehen, also die Allgemeine Feldgleichung, hat Hilbert nie erreicht. Einstein auch nicht, trotz 30-jähriger Suche bis zu seinem Tod 1955.
Einstein hat als erster die Feldgleichungen der Allgemeinen Relativitätstheorie explizit veröffentlicht (25.11.1915), Hilbert als erster den Weg dazu (16./20.11.1915). Kontrovers ist aber noch folgendes: Jürgen Renn wies darauf hin, dass die Hilbert-Druckfahnen vom 6.12. in der heute vorliegenden Erhaltung Lücken durch Ausschnitte aufweisen, die den Eindruck suggerieren [sollen?] , dass Hilbert noch nicht ganz fertig war, und im Zuge der weiteren Korrekturen und im Wissen von Einsteins Resultat, seine Arbeit vervollständigt hat. Russische Mathematiker haben jetzt (2004) Hilberts Druckfahnen studiert und erkannt, das Hilbert doch den richtigen Weg fertig hatte. Wahrscheinlich hat jemand die Druckfahnen nachträglich manipuliert, um Einsteins Glorie heller strahlen zu lassen.
Hilbert ärgerte sich, dass Einstein in seiner Veröffentlichung die vielen Gedankenaustausche mit ihm überhaupt nicht erwähnt hat. Umgekehrt hat Hilbert Einstein sehr wohl zitiert. Einstein versuchte ihm klar zu machen, dass er die gesamte gedankliche Vorarbeit schon 1913 in seinem Notizbuch stehen hatte, und dies ihm auch im Sommer 1915 in Göttingen gesagt hat. Hilberts einfache Erwiderung: „Das habe ich vergessen“, klingt in der Tat etwas oberflächlich. Hilbert hat später nie Prioritäts-Ansprüche erhoben. Einstein wurmte das ganze doch, denn er schrieb zu Hilbert (20.12.): „Es ist zwischen uns eine gewisse Verstimmung gewesen, deren Ursache ich nicht analysieren will. Gegen das damit verbundene Gefühl der Bitterkeit habe ich gekämpft, und zwar mit vollständigem Erfolge. Ich gedenke Ihrer wieder in ungetrübter Freundlichkeit und bitte Sie dasselbe bei mir zu versuchen. Es ist objektiv schade, wenn sich zwei wirkliche Kerle, die sich aus dieser schäbigen Welt etwas herausgearbeitet haben, nicht gegenseitig zur Freude gereichen.“

Kehren wir zur Titelfrage zurück. Albert Einstein war ganz offensichtlich der Ideengeber und Treiber. Marcel Grossmann hat Einstein entscheidend mathematisch geholfen. David Hilbert hat –nach intensivstem Gedankenaustausch mit Einstein- durch sein überragendes mathematisches Können zielstrebig direkt den axiomatisch-mathematischen Königsweg beschritten, und praktisch zeitgleich mit Albert Einstein in einem dramatischen Kopf an Kopf-Rennen der Welt die Lösung gegeben.

Schlussbemerkung zur weiteren Entwicklung: Einstein hat ein paar Jahre später (1917) in der Feldgleichung noch einen Term hinzugefügt, der die sog. „Kosmologische Konstante λ“ enthält, um ein „gewünschtes“ statisches Universum zu erhalten. Als Hubble 1929/30 nachwies, dass sich das Universum ausdehnt, strich Einstein λ wieder, und bezeichnete λ als seine „größte Eselei.“ Heute ist λ wieder „in“, und wird als die Wirkung einer noch mysteriösen „Dunklen Energie“ interpretiert, die das Universum beschleunigt aufbläht.

Die Allgemeine Relativitätstheorie ist eine Kontinuumtheorie. Sie lässt sich deshalb mit der Quantenmechanik nicht vereinigen. Die Entwicklung einer Quanten-Gravitation ist heute die große Herausforderung. Wer wird ein neuer Einstein?

Dr. Georg Linke, Aachen 2010

 

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