Am 01.01.0000, denn unsere Zeitrechnung zählt die Jahre ab Jesu Geburt, was auch durch den Zusatz n.Chr. dokumentiert werden soll. Oft umgeht man den Bezug zu Jesu- oder Christi Geburt durch die Angabe n.ZW., d.h. „Nach der Zeitenwende“, was in jedem Fall im Einflussbereich unserer Kultur stimmt. Aber so einfach ist es nicht. Allein schon deshalb, weil es das Jahr 0000 überhaupt nicht gibt. Es wurde schlicht und einfach vergessen. Auf 1 v.Chr. folgt unmittelbar 1 n.Chr., wie aus den im 17. Jhd. erstellten Listen Römischer Konsuln hervorgeht. Der Römische Mönch Dionysius Exiguus berechnete 525 die Geburt Jesu, die er auf den 25. Dezember des Jahres 753 »nach Gründung der Stadt« [Rom] festsetzte, nur scheint er sich um einige (?) Jahre verrechnet zu haben. Die Frage nach dem Zeitpunkt Jesu Geburt bleibt im Raum stehen, und wird auch heute noch kontrovers diskutiert.
Wir feiern Weihnachten, das jährlich wiederkehrende Geburtsfest Jesu; ich finde jetzt die richtige Zeit, sich Gedanken zur historischen Wurzel zu machen.
Vorab die Grundfrage: „Hat Jesus überhaupt gelebt?“.
Nach vielen Anzweiflungen im Verlauf der letzten Generationen, bejahen heute ernst zu nehmende Historiker die Frage voll. Aber der Weg zu dieser Einsicht war doch recht steinig. Was an christlichen Quellen existiert (die Evangelien im NT), ist vom Standpunkt des Historikers zunächst einmal als Tendenzschrifttum zu charakterisieren. Außerchristliche Quellen mit objektiver, unbefangener Sicht, die man zu Vergleich & Kontrolle heranziehen könnte, gibt es nicht. Im jüdischen Schrifttum hat es entweder entsprechende Dokumente nicht gegeben, oder sie sind verloren gegangen. Die spärlichen Hinweise auf Jesus im Talmud & Midrasch sind unergiebig, da polemisch; immerhin gehen sie von der realen Existenz Jesu aus. Die antiken Geschichtsschreiber interessieren sich für Jesus nicht. Nur die Tatsache, dass man sich später gelegentlich mit den Christen beschäftigen musste, veranlasst Historiker den Namensgeber der neuen Sekte zu nennen. Tacitus (55- >116) überliefert in seinen Annalen, dass Christus, der Stifter der unter Nero verfolgten Gemeinde, vom Prokurator Pontius Pilatus unter der Herrschaft des Tiberius hingerichtet worden sei. Geradezu unbegreiflich erscheint, dass auch der jüdische Historiker Flavius Josephus (37- ca.100) über Jesus schweigt. Flavius ist heute die Quelle über jüdische Bewegungen im ersten nachchristlichen Jahrhundert. Er schreibt über Essener und viel über Johannes dem Täufer, und doch gibt es bei ihm eine Stelle, die Jesus nennt, die allen nachträglichen Zweck-Verfälschungen trotzt, also original ist: Flavius schreibt völlig beiläufig bei der Nachricht über den Prozess und die Steinigung des »Jakobus, des Bruders Jesu, der Christus genannt wird«. Es hat den Historikern viel Mühe gekostet, diese genannte Originalaussage herauszufiltern, da sich die heute vorliegenden Kopien des Flavius fast wie aus dem Evangelium zitiert lesen z.B.: „Um diese Zeit lebte Jesus, ein weiser Mensch, wenn man ihn überhaupt einen Menschen nennen darf. Er war nämlich der Vollbringer ganz unglaublicher Taten und der Lehrer aller Menschen, die mit Freuden die Wahrheit aufnahmen. So zog er viele Juden und auch viele Heiden an sich. Er war der Christus“. Solche Kopisten- Einschübe zeugen von Wut & Enttäuschung, dass Flavius sich über Jesus praktisch ausschweigt. Der Apostel Paulus aus Tarsos schreibt seine ersten Briefe um 50, etwa 20 Jahre nach Jesu Kreuzigung. Das sind die ältesten Schriften über Jesus, die wir haben, verfasst von einem Mann, der zwar Jesus nicht persönlich begegnet ist, der aber die Lebens-Gefährten Jesu gekannt hat. Paulus ist nach seiner Bekehrung nach Jerusalem gegangen (sicher noch vor dem Jahr 40), um Petrus kennen zu lernen. In den 15 Tagen, die er bei ihm geblieben ist, sah er auch Jakobus, den Bruder Jesu (Gal.1, 18&19). Vierzehn Jahre später traf er die beiden noch einmal und auch noch Johannes. Dieser unmittelbare Kontakt mit Männern aus dem engsten Kreis Jesu gibt den Briefen des Paulus einen unanfechtbaren dokumentarischen Wert.
Wann wurde Jesus geboren?
Die Evangelien des Matthäus & Lukas haben vorgeschaltete Weihnachtsgeschichten, nach denen Jesus unter der Regierung des Kaisers Augustus geboren wurde, als in Judäa Herodes der Große als römischer Vasall herrschte. Der um 100 n.Chr. schreibende, schon erwähnte, jüdische Historiker Flavius Josephus legt den Tod des Herodes in das 750. Jahr nach der Gründung Roms, d.h. 4 v.Chr. (Jesu Geburt 1 v. Chr., s.u.). Da die Hl. Familie für 2 Jahre (?) nach Ägypten floh, und erst nach Herodes Tod nach Nazareth in Galiläa zurückkehrte (Mt.2, 19-22), ist Jesus 4-7 v. Chr. geboren worden. Aber Vorsicht! Der Säuglings-Mord von Bethlehem, der Grund für die Flucht nach Ägypten, ist unhistorisch; nur heilsgeschichtlich zu verstehen, in Anspielung auf einen in Rom erteilten Tötungsbefehl des Senats 63 v. Chr. zur Verhinderung eines für jenes Jahr geweissagten „Königs von Rom“. Der Befehl traf auf den geballten Widerstand der Familien, und wurde nicht ausgeführt, sonst wäre glatt der spätere Kaiser Augustus getötet worden. Außerhalb Matthäus findet sich überhaupt kein Beleg für ein derart brutales Morden in Bethlehem. Flavius hätte ganz sicher darüber geschrieben. Bei Lukas steht nichts über eine Ägyptenflucht; da kehrt die Hl. Familie nach wenigen Tagen über Jerusalem nach Nazareth zurück. Die Flucht nach und Rückkehr aus Ägypten ist reine Heilsgeschichte, in Anspielung auf das Volk Israel. Wenn Geschichte mit Heilsgeschichte vermischt wird, hat ein Historiker schlechte Karten.
Bei Lukas kann man einem anderen Hinweis nachgehen. Aus ebenfalls heilsgeschichtlichen Gründen musste der Geburtsort Jesu, so Jesus denn eine Chance haben sollte, als künftiger Messias angesehen zu werden, nach Bethlehem, in die Stadt Davids, verlegt werden. Maria & Josef lebten in Nazareth, so sieht es die heutige Forschung auf Grund verschiedener, voneinander unabhängiger Bibelstellen, die nicht den Verdacht heilsgeschichtlicher Verfärbung haben. Um aber die schwangere Maria zur Niederkunft nach Bethlehem zu bringen, nutzte Lukas die Volkszählung des Landpflegers Quirinius. Dieser Legat des Augustus hatte, wie wir von Flavius wissen, beim Anschluss der Provinz Judäa an Syrien eine Steuerschätzung vorgenommen. Nazareth liegt aber in Galiläa, Maria & Josef waren von dieser Steuerschätzung überhaupt nicht betroffen. Damit nun aber Galiläa doch betroffen ist, macht Lukas aus der Angelegenheit einen Reichszensus. Ist das nun eine heilsgeschichtlich motivierte Geschichtsfälschung, oder hat man die genauen Umstände im Umfeld des Lukas schon nicht mehr gewusst? Die Schätzung des Quirinius fällt nach Flavius ins 37. Jahr nach der berühmten See-Schlacht bei Aktium, in der Augustus über Antonius & Kleopatra siegte (31 v. Chr.). Die Schätzung fällt demnach ins Jahr 6 n.Chr., das hieße, Jesus ist ca. 12 Jahre später als nach der Matthäus-Geschichte geboren. Das ist zu viel Diskrepanz. Das kommt davon, wenn man Geschichte aus Heilsgeschichten herauslesen will.
Glücklicherweise gibt es bei Lukas eine Angabe (Lk.3, 1 & 3, 23), die sich zur Datierung der Taufe Jesu eignet. Jesu wurde im 15. Jahr des Kaisers Tiberius, also 28/29 n.Chr. von Johannes dem Täufer im Jordan getauft und war dabei „etwa 30 Jahre“ alt. Jesus wäre demnach im Jahre 1 v.Chr. geboren. Wenn wir allerdings die Altersangabe 30 nur als symbolische Zahl für das Erwachsensein Jesu deuten, dann haben wir keinen Anhaltspunkt für sein genaues Geburtsjahr. Die Kirchenväter Hippolytus & Eusebius nahmen jedoch die Altersangabe 30 ernst, und es spricht viel dafür, dass man das auch tun kann. Das Jahr 1 v.Chr. trifft recht genau die Zeitenwende, denn es wäre das Jahr 0000 bei fehlerfreier Auflistung der Konsul-Listen. Wenn sich der Mönch Dionysius Exiguus wirklich verrechnet hat, so wie ich es in modernen Lexika gelesen habe, dann hat er mehrere Fehler begangen, die sich praktisch gegenseitig aufhoben. Solche Glücksfälle kommen tatsächlich vor; nicht nur bei Theologen & Historikern.
Nachtrag: Forschung steht nie still. Neue Funde, bzw. neue Interpretationen bekannter Funde werfen ein anderes Licht auf die Geschehnisse vor 2000 Jahren. Das zeigt, geradezu exemplarisch, eine Arbeit von Frau Dr. Henrike Maria Zilling: "Überlegungen zum Zensus des Quirinius". Institut für Geschichte und Kunstgeschichte, Technische Universität Berlin 2006. Zu finden unter:
http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/forum/id=853&type=diskussionen
Ich versuche mir wichtig erscheinende Gedanken daraus zu nennen. Der am Detail interessierte Leser sollte unbedingt die o.g. Web-Adresse aufrufen.
Zunächst weist Frau Dr. Zilling ausdrücklich darauf hin, und begründet dies auch, dass der bei Lukas erwähnte Zensus kein Reichszensus, sondern ein im Jahr 6 n.Chr von Quirinius im kaiserlichen Auftrag vorgenommener judäischer Zensus war. Nach Josephus ist jedenfalls nicht die Rede von einem weltweiten Zensus, sondern nur von einem Zensus in Syrien und zur Besteuerung der Bevölkerung in Judäa, welches nun verwaltungstechnisch an Syrien angeschlossen wurde. Als Herodes 4 v.Chr. stirbt, wird sein Reich unter den Söhnen Antipas, Archelaos und Philippus aufgeteilt. Zehn Jahre später, 6 n.Chr., setzt Augustus, den Herodessohn Archelaos, den Ethnarchen (Volksherrscher) von Judäa, ab und schickt ihn in die Verbannung. Zeitgleich wird P. Sulpicius Quirinius Statthalter von Syrien, das er einem Zensus unterzieht. Das jetzt angeschlossene Judäa ist betroffen, Galiläa nicht, wo Maria & Joseph in der Stadt Nazareth leben.
Warum gehen Maria & Joseph trotzdem nach Bethlehem, um sich dort schätzen zu lassen? Lukas interpretiert das heilsgeschichtlich, da nur Bethlehem nach Micha 5,1 als Geburtsort für einen neuen Messias in Frage kommen kann. Nach Matthäus hat aber die Geburt Jesu in Bethlehem noch zu Lebzeiten des Herodes, also 10-12 Jahre vor der Quirinius-Schätzung stattgefunden. Jesus war also bereits ein heranwachsender Knabe, als Maria & Joseph sich auf den Weg zur Schätzung machten. Die 4-5 Tage dauernde beschwerliche Reise wäre außerdem für eine Hochschwangere eine regelrechte Zumutung, folgte man dem Lukas-Text wie geschrieben. Frau Dr. Zilling schreibt dazu: „ An der Bethlehemgeburt zum Zeitpunkt des Quiriniuszensus 6 n.Chr. lässt sich indes kaum festhalten. Wenn Lukas darüber tatsächlich Berichte von Augenzeugen aus dem Umfeld der Familie hatte, dann ist an einen Irrtum zu denken. Dieser könnte sich aufklären, wenn man in Betracht zieht, dass Quirinius tatsächlich den Zensus bzw. wohl eine Art Vorzensus in der Endphase der Herodesherrschaft beginnt, der Joseph und Maria nach Bethlehem bringt. Streicht man die Bethlehemgeburt als unhistorisch, kommt Jesus von Nazareth auch in Nazareth auf die Welt.“
Außer der Genealogie gibt es einen anderen Grund sich schätzen zu lassen. Es ist Besitz in Form von Grund oder Immobilien. Es gibt sehr gut dokumentierte Parallelfälle aus gefundenen Papyri, die belegen, dass Zensusbedingte Wanderungen zwecks Abgabe der Steuererklärung und Sicherung des Besitzes damals üblich und notwendig waren. Übereinstimmungen im Aufbau des lukanianischen Berichtes mit dem Aufbau in zeitgenössischen Steuerformularen sind frappant. Neben Josephs- kann auch Marias Familie, oder sie selbst Besitz in Judäa gehabt haben. Dies sind wahrscheinlich die wichtigsten Gründe für die Schätzung der Eltern Jesu vor den Beamten des Kaisers im Jahre 6 n. Chr. in Judäa. Maria & Joseph müssen nicht arm gewesen sein. Joseph war Handwerker bzw. Kleinunternehmer. In Galiläa gab es sehr viel Arbeit durch die vielen dortigen Bauvorhaben, und Jesus sollte in die Fußstapfen des Vaters treten. Dass Jesus so ganz andere Ziele verfolgte, erzürnte die Familie, das ist belegt.
Zusammenfassend schreibt Fr. Dr. Zilling: „Der wahrscheinlichste Geburtsort Jesu bleibt Nazareth. Sein Geburtsdatum stimmt ziemlich genau mit der Endphase der Herodesherrschaft überein. Einige Jahre später wurde Judäa der Provinz Syrien zugeordnet. Nunmehr war Quirinius Statthalter von Syrien und ließ nach dem Gebot des Kaisers in seinem gesamten Verwaltungsgebiet einen Zensus durchführen. Zu diesem Zeitpunkt war Jesus vermutlich schon ein Knabe; vielleicht war er ziemlich genau 10 Jahre alt, als seine Eltern nach Bethlehem wandern mussten, um dort ihren Landbesitz besteuern zu lassen.“
Obige Gedanken waren Neuland für mich, aber so interessant, dass ich sie in Form eines Nachtrages an meinen Artikel anhänge. Werden die Aussagen der Arbeit „Mainstream“, dann müssen unsere Lehrbücher wohl neu redigiert werden.
Dr. Georg Linke, Aachen, Advent 2010
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