Zur Kreativität der Erde – Die Schöpfung als kontinuierlicher Prozess
Editorial 2023 von Frank Vogelsang
Gerne werden die Forderungen in der Klimadebatte mit dem Slogan „Bewahrung der Schöpfung“ zusammengefasst. Dieses populäre Motto der Umweltschutzbewegung ist schon alt, bereits in den 80er Jahren wurde es im Rahmen der weltweiten Ökumene bekannt und beliebt. Es entstand damals der konziliare Prozess, der aus drei Kernforderungen bestand: Gerechtigkeit, Frieden, Bewahrung der Schöpfung. Ist die Schöpfung also etwas Statisches, etwas, das man bewahren kann wie vielleicht alte Gegenstände aus der Kindheit? Ist die Schöpfung ein bestimmter, genau abgestimmter Zustand?
Tatsächlich ist die Schöpfung aus sich heraus hoch dynamisch und verändert sich immer wieder! Bewahrung der Schöpfung meint doch eher die Bewahrung vor dem Eingriff der Menschen, nicht die Stillsetzung der Schöpfung.
Es gibt keine bessere Jahreszeit, um die innere Dynamik der Schöpfung hautnah zu erleben, als der Frühling. Immer wieder wurde er besungen. So von Paul Gerhardt: „Schau an der schönen Gärten Zier, und siehe, wie sie dir und mir, sich ausgeschmücket haben“! Ganz intensiv ist die kreative und gestaltende Kraft der Natur in einem Gedicht von Novalis dargestellt: „Es quoll und trieb nun überall, mit Leben, Farben, Duft und Schall … Vielleicht beginnt ein neues Reich … das ist der Frühling, fiel mir ein …“! Dichterinnen und Dichter haben immer wieder die Kreativität der Natur, der Schöpfung besungen.
Die Natur, die Schöpfung ist immer aus sich heraus kreativ, es entsteht Neues, sie ist in ständigem Wandel, sie ist nicht die Wiederkehr des Immergleichen. In der Theologie ist das mit dem Gedanken der „creatio continua“ zum Ausdruck gebracht worden: Gottes schöpferisches Handeln begleitet die Welt seit ihrem Beginn. Es ist nicht hilfreich wie in einer bestimmten Schule der Theologie den Akt der Schöpfung ganz an den Anfang zu stellen und dann eine fertige Welt anzunehmen. Die Natur ist in einem ständigen Veränderungsprozess, die Schöpfung ist ein kontinuierlicher Prozess, der so lange dauert, wie die Welt existiert!
Wie ist dann aber die menschliche Rolle einzuschätzen? Dürfen wir mitmachen an diesem kreativen Wandel? Es gibt auf diese Frage zugleich ein klares Ja und ein klares Nein:
Ja, auch wir Menschen nehmen auf eine besondere Weise an dem kreativen Schaffen teil, gerade in dem wir Neues erfinden, zu neuen Ufern aufbrechen. Auch unsere Kreativität ist eine Gabe Gottes.
Nein, wir Menschen gehen oft achtlos mit der Schöpfung um und zerstören viel mehr als dass wir die Diversität steigern. Die letzten 200 Jahre war für die Vielfalt von Tieren und Pflanzen auf unserem Planeten desaströs. Vor 200 Jahren begannen die Menschen fossile Energieträger in großem Stil zu nutzen. Die Folgen sind bekannt. Vor 200 Jahren begann auch das industrielle Zeitalter mit einer industriellen Landwirtschaft. Intakte Natur wurde domestiziert, Urwälder gibt es jetzt nur noch, weil Menschen es wollen, sie sind die Ausnahme. Vieles ist in diesem Prozess unwiederbringlich verloren gegangen.
Bringt aber die kreative Natur nicht auch wieder Neues hervor? Ja, aber sie braucht Jahrmillionen um das zu kompensieren, was wir in Jahrzehnten zerstört haben. Die Natur ist resilient gegenüber äußeren Störungen, aber nicht, wenn sie sehr schnell und gewaltsam vonstattengehen. Wir Menschen haben es geschafft, in kurzer Zeit zu zerstören, was die Natur in sehr langer Zeit hervorgebracht hat. „Die Schöpfung bewahren“ meint also nicht, einen statischen Zustand herzustellen, sondern die Natur in ihren kreativen Prozessen zu respektieren und ihr den notwendigen Freiraum zu geben, so dass sie sich entfalten kann. Ob wir den Pfad der Ausbeutung und des schnellen Ertrags verlassen können? Nur so wird es möglich sein, die Kreativität der Natur und die menschliche Kreativität in ein gutes Verhältnis zu setzen!
Frank Vogelsang
Publiziert im Januar 2023
Bildnachweis
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