Bioethik

Unter "Bioethik" werden all jene ethischen Probleme und Fragestellungen behandelt, die sich auf den Umgang des Menschen mit lebenden Wesen beziehen. Dabei ist es offen, um welche Lebewesen es sich handelt, ob um einfach aufgebaute Lebewesen oder um komplexe bis hin zum Menschen selbst. Dementsprechend umfasst die Bioethik einen sehr weit gefassten Bereich, der ebenso die Pflanzenwelt wie etwa in der grünen Gentechnik, die Tierwelt wie in der Diskussion um Tierversuche und genetische Veränderungen von Tieren wie auch die menschliche Reproduktion umfasst.

In den Anwendungsgebieten kann man folgende größere und intensiv diskutierten Bereiche voneinander unterscheiden: die Gentechnologie, die Tierethik, die Reproduktionsmedizin und die medizinische Begleitung am Ende des Lebens, die synthetische Biologie.

  • Die Gentechnik ermöglicht die Analyse des Genoms von Lebewesen und die Herstellung transgener Lebewesen. Damit geht eine Vielzahl von Fragen einher. In der Grünen Gentechnik wird die Herstellung und Auspflanzung von transgenen Pflanzen diskutiert. In der sogenannten Roten Gentechnik geht es um Anwendungsmethoden in der Humanmedizin.
  • Die Tierethik diskutiert den Umgang mit Tieren, insbesondere mit solchen Tieren, die für den Fleischkonsum gezüchtet werden.
  • Die Reproduktionsmedizin umfasst eine Vielzahl von Analysemethoden und Eingriffe in die menschliche Fortpflanzung. Hierher gehören vorgeburtliche Untersuchungen, die künstliche Befruchtung, die Frage um eine Auswahl von Nachkommen durch die Analyse des Genoms oder gar um einen Eingriff in das Genom bei Nachkommen.
  • Die medizinische Begleitung am Ende des Lebens wirft Fragen der Todesdefinition auf, insbesondere dann, wenn die Möglichkeit einer Organspende eine Rolle spielt. Aber auch die Möglichkeit von medizinischen Eingriffen oder deren Unterlassungen am Ende des Lebens spielen eine wichtige Rolle.
  • Die synthetische Biologie ist ein neues Feld der Bioethik. Es ruht zum Teil auf den Erkenntnissen der Gentechnik, die zur Schaffung von künstlichem Leben genutzt werden können. Welchen Eingriff in die Natur kann, darf der Mensch vornehmen? Das Leben ist nach weitgehender Meinung nur einmal in der Erdgeschichte entstanden. Darf der Mensch nur daran gehen, es unabhängig davon, ein zweites Mal zu schaffen?

Durch die Weite des Anwendungsgebietes werden biologische Fragen in einem interdisziplinären Zugang diskutiert. Es spielen rechtliche Aspekte eine Rolle bei Fragen der Patentierung oder bei der Auslegung und Anwendung von Sondergesetzen, wie des Gentechikgesetzes oder des Embryonenschutzgesetzes. Es sind medizinische Perspektiven zu beachten, wenn zum Beispiel die Präimplantationsdiagnostik oder die Sterbebegleitung zu bewerten ist. Sowohl im Bereich der Humanmedizin als auch bei Fragen transgener Pflanzen sind gesellschaftswissenschaftliche und ökonomische Perspektiven zu berücksichtigen, da hier sehr schnell große Gewinnspannen ein treibendes Moment sein können. Natürlich haben die meisten der diskutierten Problemstellungen philosophische Aspekte, etwa bei der Frage, was eigentlich das Leben ist, ob ihm per se ein Wert zukommt, inwieweit man Lebewesen einen besonderen Status zuweisen kann. Schließlich hat die theologische Perspektive die Aufgabe, die diskutierten Fragen mit dem Schöpfungswillen Gottes in einen Zusammenhang zu stellen. Das gilt für alle Lebewesen, aber im Besonderen auch für den Menschen.

Frank Vogelsang

Alexander Maßmann: Die neue Debatte um die „grüne Gentechnik“. Ein Beitrag aus Sicht der theologischen Ethik (Html)

Die „grüne Gentechnik“ macht wieder von sich reden. Im April diesen Jahres hat die Europäische Kommission eine Studie zur „Neuen Gentechnik“ veröffentlicht, die für eine weniger strikte rechtliche Regulierung des Genom-Editing an Pflanzen plädiert. Auch im deutschen Bundestagswahlkampf werden  gentechnisch veränderte Pflanzen (gv-Pflanzen) diskutiert. In ihrem Wahlprogramm bekennen sich etwa Die Grünen nach wie vor zur „Gentechnikfreiheit“, doch es findet sich darin auch ein Satz, mit dem es eine besondere Bewandtnis haben dürfte: „Nicht die Technologie, sondern ihre Chancen, Risiken und Folgen stehen im Zentrum.“

Alexander Maßmann: Ethische Überlegungen zum Genome Editing am Menschen (Html)

Mit neuen Versuchen an Embryos möchten Forscher die Methoden des Genome Editing – oder der Genomchirurgie – perfektionieren, um Krankheiten zu lindern, zu heilen und ihnen vorzubeugen. Auch die vermeintliche genetische „Verbesserung“ gesunder Menschen wird diskutiert. Jüngst haben sich verschiedene Expertengremien zumindest im therapeutischen Bereich aufgeschlossen gezeigt. Dabei unterscheidet man somatische Eingriffe, also die Modifikation einzelner Zellen nach der Geburt, wobei Ei- und Samenzellen nicht betroffen sind, von Modifikationen der Keimbahn des Embryos. Auch wenn die somatischen Eingriffe von verschiedenen konkreten Faktoren eingeschränkt werden, dürften sie dennoch im menschlichen Anwendungsbereich am ehesten eine sinnvolle Perspektive bieten.

Christian Dürnberger und Niklas Schleicher: Diskussion zur Grünen Gentechnik – Wie rational kann man darüber reden? (Html)

Die Debatte um die Grüne Gentechnik kann mittlerweile mit einem Theaterstück verglichen werden, das zwar neu inszeniert wird, dessen Inhalt und Ablauf dabei aber jedem Kenner vertraut ist: Es sind die immer selben Argumente, die aufeinander treffen. Die Einen sehen in der Gentechnik ein Arsenal der Pflanzenzüchtung, das ob Klimawandel, den Zielen der Nachhaltigkeit und ob des Bevölkerungsanstiegs eine Schlüsseltechnologie des 21. Jahrhunderts sei. Die Anderen verdammen die nicht abschätzbaren Risiken für die menschliche oder tierische Gesundheit und/oder für Biodiversität und ganze Ökosysteme. Studie trifft auf Gegenstudie. Gemäßigte Stimmen werden von lautem Pro und Contra in den Hintergrund gedrängt. Und am Ende findet man sich in einer emotionalen Kontroverse wieder, die Zweifel aufkommen lässt, inwieweit es sich hierbei um eine Debatte innerhalb einer so genannten Wissensgesellschaft handelt – oder nicht doch eher um einen „Glaubenskrieg“.

Fabian Karsch und Thies Clausen: Energiewende - sind Kompromisse denkbar? (Html)

In den Diskussionen um die Politische Ethik wird der Antagonismus von Gemeinwohl und Eigennutz oft als „Krise“ des demokratischen Prozesses zum Thema, den es zu überwinden gilt. In soziologischer Perspektive wird jedoch deutlich, dass die dabei zutage tretenden Aushandlungsprozesse für die Integration und Problemlösung in einer liberalen Gesellschaft auch produktiv gelesen werden können. Der Soziologe Fabian Karsch plädiert am Beispiel der Energiewende deshalb dafür, die unterschiedlichen Positionen über Ausbauziele und regionale Zumutungen nicht als Schwäche, sondern als Stärke einer demokratischen Kultur des Streits zu interpretieren.

Stephan Schleissing und Christine Schliesser: Fortpflanzungsmedizin - wie gut ist Familie planbar? (Html)

Als bekannt wurde, dass die Unternehmen Facebook und Apple künftig für ihre Mitarbeiterinnen die Kosten für das Einfrieren von Eizellen finanzieren, war die Empörung hierzulande groß. Die Fortpflanzungsmedizin verändert unser Verständnis von Vater, Mutter und Kind. Erschüttert sie auch unser Verständnis von Familie?

Clemens Wustmans und Stephan Schleissing: Vom Nutzen und Schaden von Tierversuchen (Html)

Versucht man sich an einer Abwägung, an einer ethischen Urteilsbildung im Hinblick auf den Nutzen und Schaden von Tierversuchen, steht man vor einem grundsätzlichen Dilemma, denn „Schaden“ und „Nutzen“ sind beim Tierversuch meistens sehr ungleich verteilt – geschädigt werden in derartigen Versuchen per Definition Tiere, die mit zahlreichen Einschränkungen, nicht zuletzt ihrer Gesundheit oder ihrem Leben „bezahlen“; wenn Tiere überhaupt einen Nutzen ziehen, dann höchstens sehr mittelbar. Profiteure dieser Versuche sind in der Regel die Menschen.

Kirsten Huxel, Das Hirntodkriterium und die theologischen Folgerungen (pdf)
(aus: Die Seele und der Tod. Was sagt die Hirnforschung? II. Forum Neuroethik, hg. von Frank Vogelsang und Christian Hoppe, Bonn: Evangelische Akademie im Rheinland, 2008, 87-102)

Die sogenannte „Hirntoddefinition“ bietet im Grunde keine Definition des
Todes im theologischen oder philosophischen Sinne, sondern lediglich ein
Kriterium zur medizinischen Feststellung des Lebensendes, das methodisch
durch diagnostische Verfahren attestiert werden kann. Unbestritten
ist, dass für die medizinische und rechtliche Praxis die Festsetzung eines
Todeskriteriums grundsätzlich von unverzichtbarer Bedeutung ist.