Die Grundlagen der Realität: Die Quantenwelt und ihre offenen Fragen
Leitartikel von Mark Harris
Die Vereinten Nationen haben das Jahr 2025 zum Internationalen Jahr der Quantenwissenschaft und -technologie erklärt. Die Quanten verdienen diese weltweite Aufmerksamkeit und dieses Prestige aufgrund des erstaunlichen Erfolgs der Quantenwissenschaft.
1. Quanten-Allgegenwart
Die moderne Quantentheorie, Quantenphysik und Quantentechnologie sind das Ergebnis des Erfolgs der Quantenmechanik. Diese ist der grundlegende mathematische Formalismus, der in den 1920er und 30er Jahren entwickelt wurde, um die (damals) neuen experimentellen Entdeckungen über Licht und Materie auf atomarer und subatomarer Ebene zu interpretieren. Die Quantenmechanik hat viele weitere Fortschritte auf vielen weiteren Längenskalen in der Natur inspiriert, von der relativistischen Theorie des Elektrons, wie sie in der Quantenelektrodynamik verankert ist, bis hin zur Quantentheorie von Festkörpern, vom Standardmodell der Teilchenphysik bis hin zu aktuellen Entwicklungen in der Kosmologie wie der Quantengravitation.
Noch beeindruckender ist, dass die Quantenmechanik den Kern eines umfassenden konzeptionellen Rahmens bildet, der die gesamte Szenerie der Naturwissenschaften untermauert und der weiterhin neue Forschungsinitiativen in allen Wissenschaften inspiriert. Ohne das Quantenkonzept wüssten wir nur unzureichend, wie sich Materie auf molekularer, atomarer und subatomarer Ebene verhält und wie sie zusammengesetzt ist. Auf der makroskopischen Skala - vor allem der Skala der menschlichen Erfahrung - erklärt die Quantenphysik viele der grundlegenden Eigenschaften unserer alltäglichen Welt, die wir für selbstverständlich halten – wie etwa Farbe und Festigkeit – , und sie liefert auch die wissenschaftlichen Grundlagen für ganze Industriezweige, vor allem für die Elektronik und Telekommunikation. In noch größerem Maßstab liefert die Quantentheorie die Erklärung dafür, warum Sterne leuchten und wie sich Galaxien im Raum verteilen. Und schließlich ist die Quantenmechanik die Grundlage für die vielleicht größte aller wissenschaftlichen Entdeckungen: das Periodensystem der Elemente. Kurz gesagt, die Quantenwissenschaft ist in den Naturwissenschaften und in der Technik allgegenwärtig und erklärt die physikalischen Eigenschaften vieler alltäglicher Dinge unseres Lebens. Die Quantenmechanik ist bestimmt die Grundlage der Realität, könnte man meinen. Aber wenn das so ist, warum ist die Quantenmechanik dann so notorisch schwer zu interpretieren?
2. Quantenfundamentalismus
Die Quantenmechanik macht bekanntlich seltsame Vorhersagen, die, wenn man sie wörtlich nimmt, darauf schließen lassen, dass die Natur ebenso seltsam ist, zumindest wenn man sie nach den Maßstäben unseres gesunden Menschenverstands beurteilt. Einstein zum Beispiel konnte die Quanteneigenschaft, die wir heute als "Verschränkung" kennen – bei der zwei Teilchen selbst über enorme Entfernungen untrennbar miteinander verbunden sein können – nicht akzeptieren und glaubte, dass die Quantenmechanik zumindest in diesem Punkt unvollständig oder falsch sein müsse. Dabei haben strenge experimentelle Tests die Vorhersagen der Quantenmechanik bislang voll bestätigt. Und trotz ihrer weit verbreiteten Assoziation mit Unschärfe, Indeterminismus und Wahrscheinlichkeitsvorhersagen ist die Quantenmechanik in der Lage, in der Praxis erstaunliche Präzision zu liefern. In einem berühmten Fall (dem magnetischen Moment des Elektrons) stimmen theoretische Berechnungen und Experimente mit einer Genauigkeit von mehr als 1:10 überein12 (Fan et al. 2023). Es ist kaum verwunderlich, dass viele Physiker glauben, die physikalische Realität sei grundsätzlich quantenmechanischer Natur, eine Sichtweise, die als "Quantenfundamentalismus" bekannt geworden ist.
Der Quantenfundamentalismus ist in Lehrbüchern und in der Populärwissenschaft allgegenwärtig, auch wenn sich darauf nicht oft bezogen wird. So beginnt zum Beispiel einer der Standardtexte zur Einführung in die Quantenmechanik für Studenten (Cohen-Tannoudji et al. 2020, 23-24):
Beim gegenwärtigen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse spielt die Quantenmechanik eine grundlegende Rolle in der Beschreibung und dem Verständnis von Naturphänomenen. In der Tat können Phänomene, die auf einer sehr kleinen (atomaren oder subatomaren) Skala auftreten, nicht außerhalb des Rahmens der Quantenphysik erklärt werden... Tatsächlich gibt es viele Phänomene, die auf einer makroskopischen Skala das Quantenverhalten der Natur offenbaren. In diesem Sinne kann man sagen, dass die Quantenmechanik die Grundlage für unser heutiges Verständnis aller Naturphänomene ist, einschließlich derer, die traditionell in der Chemie, Biologie usw. behandelt werden...
Die Quantenmechanik ist die Grundlage unseres heutigen Verständnisses aller Naturphänomene, so wird gesagt, und reicht sogar bis in den makroskopischen Bereich hinein. Wie Philip Anderson, der große Theoretiker der Physik kondensierter Materie (d.h. der Physik der Materie auf Grössenskalen weit jenseits des subatomaren Bereichs), es so treffend formulierte: "Wir [Menschen] sind durch und durch Quanten" (Anderson 2001, 500). Dies ist die Kernüberzeugung des Quantenfundamentalismus, eine Überzeugung, die in der modernen Physik und in der populärwissenschaftlichen Literatur weit verbreitet ist.
Seltsamerweise wurde der Begriff des Quantenfundamentalismus erst in jüngster Zeit geprägt, und zwar hauptsächlich im Bereich der Quantenfundamente, der sich auf die tiefgehenden philosophischen Probleme der Quantenwelt spezialisiert hat. Der Wissenschaftsphilosoph Henrik Zinkernagel (2016, 2; vgl. Faye 2019; Zinkernagel 2011, 235) bietet eine Definition an:
Quantenfundamentalismus. Alles im Universum (wenn nicht sogar das Universum als Ganzes) ist grundsätzlich quantenmechanischer Natur und lässt sich letztlich mit quantenmechanischen Begriffen beschreiben.
Alles im Universum ist in seinem Wesen ein Quantum, und letztlich (d. h. im Prinzip) lässt sich alles wissenschaftlich mit solchen Begriffen beschreiben, erklärt Zinkernagel. Wenn man dem Quantenfundamentalismus Glauben schenkt, wird uns das Quantum wohl erhalten bleiben.
Der Quantenfundamentalismus hat zudem die Fähigkeit, eine vollständige Weltanschauung zu bilden, die von der zugrunde liegenden Wissenschaft auf andere Bereiche der menschlichen Erfahrung extrapoliert. In diesem Sinne weist er Ähnlichkeiten mit einer sehr viel bekannteren wissenschaftlichen Weltanschauung auf – dem Kopernikanismus –, wenn auch ohne die Ehrwürdigkeit oder "Offensichtlichkeit" des Kopernikanismus heutzutage. Doch auch der Kopernikanismus war vor einigen hundert Jahren gewiss nicht "offensichtlich", sondern setzte sich erst nach intensiven Debatten durch, von denen viele philosophischer und theologischer Natur waren. Der Kopernikanismus wird heute so selbstverständlich hingenommen, dass wir vergessen, dass er einen tiefgreifenden Einfluss auf das menschliche Selbstverständnis im Europa der frühen Neuzeit hatte; bei den Debatten ging es keineswegs nur um die Wissenschaft. Der Quantenfundamentalismus hat daher wichtige existenzielle, theologische und ethische Implikationen, die von der Wissenschaft noch weitgehend unerforscht sind, obwohl unsere Gruppe am Ian Ramsey Centre für Science and Religion in Oxford kürzlich einen Anfang gemacht hat.
Der Quantenfundamentalismus hat als Weltanschauung allerdings ein besonderes Problem, nämlich die metaphysische Unterbestimmtheit: Es gibt zahlreiche begriffliche (metaphysische) Interpretationen des Quantenrahmens, die aber empirisch weitgehend gleichwertig sind. Mit anderen Worten, die Wissenschaft kann uns nicht dabei helfen, zwischen ihnen zu entscheiden, selbst wenn wir davon überzeugt sind, dass das Universum grundsätzlich quantenbasiert ist. Außerdem widersprechen sich diese Interpretationen in vielen grundlegenden ontologischen Aspekten. Wir können zwar vermuten oder hoffen, dass eine davon richtig ist, aber wir können nicht wissenschaftlich begründen, welche. Die berühmte Kopenhagener Deutung hat zum Beispiel eine entschieden antirealistische Tendenz, die Rolle des Beobachters bei der Konstruktion der Realität zu betonen: Die Quantenmechanik sagt uns, was wir erwarten können, wenn wir bestimmte Arten von Beobachtungen durchführen, aber wir sollten uns nicht auf sie als Leitfaden für die unbeobachtete Wirklichkeit selbst verlassen. Die Viele-Welten-Interpretation von Hugh Everett ist dagegen völlig realistisch: Der Beobachter existiert in einer vollständig determinierten Quantenwelt, die auf jeder Grössenskala wirklich existiert, aber es gibt gleichzeitig andere alternative Welten, in denen derselbe Beobachter dann andere Beobachtungen macht. Es ist klar, dass zwischen diesen beiden Interpretationen Welten (!) liegen, aber sie sind beide mit der empirischen Wissenschaft voll kompatibel, auch wenn sie aus metaphysischen Gründen völlig unvereinbar sind.
Es gibt jedoch auch andere Möglichkeiten, zwischen den Interpretationen zu entscheiden, und zwar nicht-wissenschaftliche. An erster Stelle stehen dabei aufgrund ihrer Popularität religiöse Belange.
3. Quantenreligion
Der Quantenfundamentalismus ist kein explizit religiöser Standpunkt, aber er hat religiöse Implikationen. Im alltäglichen Sprachgebrauch ist ein "Fundamentalismus" eine kompromisslose religiöse Haltung, die modernen wissenschaftlichen Theorien oft feindselig (oder zumindest misstrauisch) gegenübersteht. Es ist daher überraschend, den Begriff in einem wissenschaftlichen Umfeld zu sehen, ohne dass damit eine negative Konnotation gemeint ist. Es gibt jedoch insofern Parallelen zum religiösen Glauben, als der Quantenfundamentalismus eine unter Wissenschaftlern weit verbreitete, aber nicht überprüfbare Überzeugung ist, die, wie ich oben angedeutet habe, die Fähigkeit hat, ein Weltbild zu formen. Außerdem übt der Quantenfundamentalismus eine starke Anziehungskraft auf die moderne religiöse Vorstellungswelt aus, und zwar in einem solchen Ausmaß, dass man sogar von einer "Quantenreligion" als kultureller Bewegung sprechen könnte, ganz abgesehen von den Fragen, die die Quantenmechanik für theologische Ansichten über die Natur und die Übernatur aufwirft.
Das Interesse religiöser Kommentatoren und Theologen am Quantenfundamentalismus ist bemerkenswert. Christliche Theologen haben zum Beispiel festgestellt, dass die Quantenmechanik eine reiche Quelle von Metaphern für Modelle von Gottes Wirken in der Welt und Gottes Beziehung zur natürlichen Ordnung ist, auch für christologische Mysterien und sogar für das tiefste Geheimnis des christlichen Denkens: die Natur von Gottes trinitarischem Wesen. Charakteristische Merkmale der Quantenmechanik – Welle/Teilchen-Dualismus, Unbestimmtheit und Verschränkung – tauchen in diesen theologischen Metaphern wiederholt auf. Diese Quanteneigenschaften bieten nicht nur verblüffende Analogien für theologische Lehren, sondern sie ermöglichen es dem zeitgenössischen Theologen, traditionelle Kategorien von Gottes Gegenwart und Vorsehung in der Welt zu erhalten, Kategorien, die die streng mechanische Vorstellungswelt der klassischen Physik endgültig ausgeschlossen zu haben schien, bis eben die Quanten aufkamen.
Viele andere religiöse Denker haben sich die Quantenmechanik begeistert zu eigen gemacht, um alte spirituelle Weltanschauungen zu stützen, insbesondere aus dem Hinduismus, Buddhismus und Daoismus. Diese Anleihe führt zu dem, was häufig als synthetischer "Quantenmystizismus" bezeichnet wird, der die materielle Welt zugunsten des Geistes, des Bewusstseins und der tiefen Einheit aller Dinge herunterspielt. Die Quantenmystik ist z. B. in der New-Age-Spiritualität populär geworden und weit in die Gesundheits- und Lebensstilberatung, das Coaching und die Alternativmedizin vorgedrungen.
Es ist bezeichnend, dass diese Bewegungen in der Quantenreligion dazu neigen, eine Version der Kopenhagener Deutung vorauszusetzen. Für christliche Theologen – vor allem für diejenigen, die eine Wirkweise für Gottes Handeln in der Welt durch die Quantenmechanik etablieren wollen – ist Kopenhagens Betonung der Quantenunbestimmtheit attraktiv, vor allem wenn wir davon ausgehen, dass Unbestimmtheit eine grundlegende Eigenschaft der Natur selbst ist: eine Unschärfe im Herzen der Realität. Wenn dies der Fall ist, dann ist die Natur nicht länger eine geschlossene kausale Barriere für Gottes Handeln in der Welt - wie die Newtonsche Physik oft angenommen hat -, sondern sie ist vielmehr offen für übernatürliche Einflüsse. Mit anderen Worten: Gottes Handeln erfolgt durch die grundlegende Quantenoffenheit des Universums. In ähnlicher Weise können sich diejenigen, die den freien Willen des Menschen gegen deterministische Auffassungen von geistigen Prozessen behaupten wollen, auf die Quantenindeterminiertheit der Kopenhagener Interpretation berufen. Die Quantenunbestimmtheit soll nach dieser Auffassung den freien Willen des Menschen bestätigen. Wie ich am Ende des vorigen Abschnitts erwähnt habe, werden nichtwissenschaftliche Präferenzen eingesetzt, um zwischen den verschiedenen (und empirisch gleichwertigen) Quanteninterpretationen zu entscheiden. Hier wird eine klare Präferenz für die Kopenhagener Interpretation gegenüber anderen gezeigt, und zwar für eine bestimmte Art der Kopenhagener Interpretation. Es sollte nämlich nicht vergessen werden, dass es auch andere Möglichkeiten gibt, die Kopenhagener Unbestimmtheit zu interpretieren: Sie muss nicht so sehr aus einer grundsätzlichen Unschärfe/Offenheit in der Ontologie der Natur resultieren als vielmehr aus einer Beschränkung unserer eigenen Fähigkeit, die Tiefenprozesse an sich wahrzunehmen. Während die erste Unbestimmtheit ontologisch ist, ist die zweite erkenntnistheoretisch, aber beide sind mit der Kopenhagener Interpretation im weitesten Sinne vereinbar.
Religiöse Denker, die behaupten, dass die Quantenmechanik idealistische Ansichten über Natur und Übernatur stützt – wo der Geist (und Gott als Geist) bei der Bestimmung der Realität überragend sind – neigen ebenfalls dazu, der Kopenhagener Interpretation anzuhängen. Dabei ist es nicht so sehr die Kopenhagener Unbestimmtheit, die attraktiv ist, sondern vielmehr die Betonung der entscheidenden Rolle des Beobachters bei der Bestimmung der Realität. Denn diese Rolle ermöglicht es, eine subjektive Komponente der Realität in den Vordergrund zu stellen. Bei diesen Ansätzen wird der Quantenformalismus im Hinblick auf den Kenntnisstand des Beobachters über das untersuchte Quantensystem interpretiert, und zwar so, dass der menschliche Geist der entscheidende Faktor bei der Bestimmung der Materie ist. Einige bemerkenswerte theoretische Physiker in der Geschichte der Quantenmechanik vertraten idealistische Ansichten. Sir Arthur Eddington beispielsweise behauptete in den Anfangsjahren der Quantenmechanik, dass der Grundstoff des Universums der "Geist-Stoff" sei (Eddington, 1929: 276-82), während Eugene Wigner einige Jahrzehnte später den kartesianischen Geist-Körper-Dualismus heranzog, um zu behaupten, dass der Geist/das Bewusstsein des Beobachters das zentrale, entscheidende Element für die Erscheinung der "Realität" bei einer Quantenmessung sei. Und obwohl idealistische Lesarten der Quantenmechanik in der heutigen Physik nicht verbreitet sind, sind sie auch nicht gänzlich abwesend (z. B. Stapp, 2011), und sie finden in populären Formen der Quantenreligion wie der Quantenmystik weiterhin ein hohes Maß an Unterstützung.
Gegenüber diesen religiös geprägten Formen der Kopenhagener Deutung sollte nicht vergessen werden, dass es neben der Kopenhagener auch andere konzeptionelle Deutungen der Quantenmechanik gibt, die mit den empirischen Beobachtungen der Quantenwissenschaft gleichermaßen vereinbar sind. Die wichtigsten dieser Interpretationen sind eher realistisch, wie z. B. Everetts Viele-Welten-Interpretation. Realistische Interpretationen sind unter Philosophen, die im Bereich der Quantengrundlagen arbeiten, sehr beliebt – wie die Viele-Welten-Interpretation unter den Oxford-Philosophen (den "Oxford-Everettianern") –, aber sie werfen so viele tiefgreifende Herausforderungen auf menschlicher Ebene auf, dass sie in der breiteren Kultur und auch in der Quantenreligion wenig Anklang gefunden haben. Dieser Mangel an populärer Unterstützung für die realistischen Interpretationen ist kaum überraschend, da sie mit Ontologien arbeiten, die in starkem Konflikt mit der alltäglichen Welt der menschlichen Erfahrung stehen. Antirealistische/idealistische Interpretationen hingegen stellen keine so großen Herausforderungen dar und sind auf menschlicher Ebene leichter zu verstehen, insbesondere für jene religiösen Gläubigen, die bereits dazu neigen, die Vorrangstellung des Geistes und des Bewusstseins hochzuhalten.
4. Schlussfolgerungen
Mir ging es darum zu zeigen, dass es trotz der unübertroffenen wissenschaftlichen Leistung der Quantenmechanik – eine enorme Anzahl von Wissenschaftlern weltweit vertritt eine Art Quantenfundamentalismus – immer noch viele offene Fragen zu unserem Quantenuniversum gibt, Fragen, die die Wissenschaft nicht beantworten kann. Diese offenen Fragen betreffen die Grundlagen der Realität – wie ist die Natur wirklich beschaffen? – und die Wissenschaft ist nicht in der Lage, solche Fragen zu beantworten, weil die begrifflichen Interpretationen der Quantenmechanik metaphysisch unterbestimmt, unvereinbar und widersprüchlich sind. Angesichts von so viel Verwirrung und Ungewissheit liefern tiefe und alte religiöse Weisheiten gewichtige Gründe, sich für diese oder jene Interpretation gegen andere zu entscheiden. Aber man darf nicht vergessen, dass solche Entscheidungen auf der Grundlage unserer menschlichen Weltanschauung und unserer subjektiven Neigungen getroffen werden, selbst wenn diese Neigungen aus uralten Weisheiten stammen. Jeder, der eine theologische Behauptung aufstellt, die mit "Die Quantenmechanik sagt uns..." beginnt, greift mit ziemlicher Sicherheit zu weit in die Wissenschaft ein und überinterpretiert sie, möglicherweise interpretiert er sie sogar falsch. Nicht umsonst verunglimpfen Physiker religiöse Aneignungen der Quantenmechanik weithin als "Pseudowissenschaft". Und doch scheint es unausweichlich zu sein, dass unser Universum von Natur aus quantenhaft ist. Was das theologisch genau bedeutet, ist noch offen.
Mark Harris
Publiziert im November 2024
(Übersetzung: Andreas Losch)
Literaturverzeichnis
Anderson, Philip W. 2001. "Reply to Cartwright". Studies in History and Philosophy of Modern Physics 32 (3) 499-500.
Cohen-Tannoudji, Claude, Bernard Diu und Franck Laloë. 2020. Quantenmechanik. Volume I: Basic Concepts, Tools, and Applications. Second Edition. Weinheim: Wiley-VCH.
Eddington, A. 1929. The Nature of the Physical World. Cambridge: Cambridge University Press.
Fan, X., T. G. Myers, B. A. D. Sukra, und G. Gabrielse. 2023. "Measurement of the Electron Magnetic Moment". Physical Review Letters 130, 071801.
Faye, Jan. 2019. " Copenhagen Interpretation of Quantum Mechanics.” ." https://plato.stanford.edu/archives/win2019/entries/qm-copenhagen/ (abgerufen am 21. Juni 2024).
Stapp, H. 2011. Mindful Universe: Quantenmechanik und der teilnehmende Beobachter, 2. Aufl., Berlin, Heidelberg: Springer.
Zinkernagel, Henrik. 2011. "Some Trends in the Philosophy of Physics". Theoria 26:215-41.
Zinkernagel, Henrik. 2016. "Are We Living in a Quantum World? Bohr and Quantum Fundamentalism." Eprint arXiv:1603.00342 (abgerufen am 21. Juni 2024).
Bildnachweis
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